Vier Entscheidungen stehen am 25.11. an: drei eidgenössische und eine (hautnahe) städtische. Selten war ich gleich von mehreren Vorlagen so hin- und hergerissen wie diesmal. Nur bei einer gibt es von mir ein hundertprozentiges “Nein”.
Die “Selbstbestimmungsinitiative”
Warum ich sie ablehne, habe ich bereits im letzten Beitrag ausführlich begründet und muss es hier nicht wiederholen.
Obwohl ich die Initiative samt ihrer weichgespülten Kampagne für eine Falle halte, empfehle ich, auf den Stimmzettel nur ein nüchternes “Nein” einzutragen. Hier, wie man’s nicht machen sollte (auch wenn’s wahr ist):
Nun zu den Entscheidungen, wie mir schwerer fallen, weil es dafür und dagegen gute Argumente gibt.
Die Hornkuh-Initiative
“Das ist den Viechern doch egal, ob sie mit oder ohne Hörner herumlaufen.” – Wirklich?
Erst habe ich gedacht: So ein Blödsinn. Bei näherem Nachdenken stellt sich die Sache so dar:
- “Das ist doch reine Symbolpolitik” – Stimmt. Massentierhaltung ordnet immer die Bedürfnisse der Tiere an artgerechter Entfaltung wirtschaftlichen Interessen unter. Anbinden, ruhigstellen, aufmästen, transportieren, schlachten, alles so kostengünstig wie möglich. Die fehlenden Hörner sind zwar nicht schön, auch widersprechen sie der nostalgischen Darstellung von glücklichen Kühen in Werbung und Touristenprospekten (und haben deshalb für die Schweiz hohe symbolische Bedeutung), sind aber vielleicht für die armen Tiere das kleinste Problem.
- “Das hat doch in der Verfassung nichts zu suchen” – Stimmt. Es handelt sich um ein Detail im Zusammenhang von artgerechter Tierhaltung und gehört in eine Richtlinie für die Vergabe von Födergeldern, und nicht in eine Verfassung. Sonst müssen wir als nächstes das Kastrieren von Ferkeln, Schneiden von Schwänzen, Meucheln männlicher Küken und tausend andere Praktiken explizit in die Verfassung aufnehmen. Das Schächtverbot hat ja in der Schweiz schon eine lange zweifelhafte Geschichte, die bis ins Jahr 1894 zurückreicht. Froschschenkel und Stopfleber fehlen noch.
- “Was soll der arme Mann denn anderes machen?” – Und das ist der Punkt. Da findet ein Landwirt, Armin Capaul, dass es nicht in Ordnung ist, wenn den Rindern ihre gesunden Hörner amputiert werden, und es keinen stört, und er rennt sich die Hacken ab, um eine Änderung zu erreichen, stösst aber überall auf Unverständnis, bis ihm jemand sagt: “Mach doch eine Initiative”. In der Schweiz kann man solche Initiativen eben nur als Verfassungsinitiative starten. Und so kommt es jetzt “vors Volk”. Meine Sympathie gilt hier dem Eigenbrötler, und einem direkt-demokratischen System, das so etwas möglich macht (ob mit oder ohne Unterstützung durch den einen oder anderen Spinner).
“Das könnte sogar einen gegenteiligen Effekt haben” – Ja, könnte. Die Initiative legt nicht im einzelnen fest, wie sie umgesetzt werden soll, und – zugegeben – wenn sie blöd umgesetzt wird, könnte sie nachteilige Effekte haben, etwa dass sie die Viehzüchter animiert, ihre Rinder wieder mehr anzubinden. Könnte. Aber niemand zwingt Parlament und Regierung, die Initiative blöd umzusetzen. Und in Zeiten, wo die SVP alle in den Wahnsinn treibt mit ihrer Forderung, ihre zahllosen unsinnigen Initiativen blind und bedingungslos umzusetzen, finde ich die Perspektive erfreulich, dass hier Profis herausgefordert sind, eine nicht-blöde Umsetzung zum Wohle der Tiere hinzubekommen.
Sozialdetektive
Auch hier bin ich hin- und hergerissen. Während einer kontroversen Debatte um dieses Thema stiegen vor meinem geistigen Auge Szenen aus “Die Schweizermacher” auf, wo der Drang, in die intimsten Verhältnisse der Zielpersonen einzudringen, fast als Zug des schweizer Nationalcharakters gezeichnet wurde. Hat sich in 40 Jahren nix geändert, gell?
Walo Lüönd im Film “Die Schweizermacher” (1978) mit Emil Steinberger
Aber im Ernst. Die IV Rente beträgt in der Schweiz maximal 2350 Franken pro Monat (siehe z.B. hier). Dazu kommen gegebenenfalls Kinderzulagen und Ergänzungsleistungen. Wirklich reich wird davon erst mal niemand.
Um an dieses Geld zu kommen, muss man strenge Bedingungen erfüllen, die auch regelmässig alle 2-3 Jahre überprüft werden, und wenn man am unteren Ende der Einkommens-Skala lebt, mag es im Einzelfall verlockend sein, dieses (Zusatz-)Einkommen einzuheimsen, auch wenn’s einem nicht zusteht.
Nun kann man über die Voraussetzungen streiten, die für den Bezug von Sozialhilfe gesetzt sind. Aber klar ist: Wenn solche Regeln bestehen, dann muss der Staat auch ihre Einhaltung einfordern und überprüfen. Andernfalls sind – wie so oft – die ehrlichen die Dummen und am Schluss hält sich niemand mehr an Regeln. Insofern ist auch gegen eine Observierung verdächtiger Einzelfälle nichts einzuwenden.
In weiten Kreisen wird es ja sowieso als Sport oder Kavaliersdelikt empfunden, den Staat um Geld zu prellen. Viele machen aber einen klaren Unterschied, ob sie einerseits dem Staat Steuern vorenthalten (da ist der Staat der Dieb, und es ist toll, ihm ein Schnäppchen zu schlagen), oder andererseits Staatsknete – oder gar Sozialhilfe – abzocken. Dann sind sie Sozialschmarotzer.
Nur sollte man die Kirche im Dorf lassen. Der Beobachter hat am 7. Feb 2015 mal gegenübergestellt, wieviel ein zusätzlicher Steuerfahnder “erwirtschaftet”, und wie viel ein Sozialinspektor (siehe Kasten). Das Ergebnis ist klar: Allein durch straflose Selbstanzeigen sind seit 2010 7 Milliarden Franken an Vermögen zum Vorschein gekommen und wurden Bund, Kanton und Zürcher Gemeinden 600 Millionen an Nachsteuern bezahlt, während die Zürcher Sozialfahnder gerade mal ihre eigenen Kosten wieder hereinholen.
Das entscheidende Argument ist für mich aber die Vermischung der Rollen. Ein im Auftrag des geschädigten (der Sozialversicherung) arbeitende privater Detektiv ist klar einseitig ökonomisch motiviert und wird – trotz aller Dementis – letztlich nach Fangprämien bewertet.
Sozialversicherungsbetrug ist ein Kriminaldelikt und sollte von Ermittlern aufgeklärt werden, die klar im Interesse der Öffentlichkeit arbeiten. Eine eigene Privatpolizei halte ich für problematisch, wird ja auch in anderen Bereichen nicht gemacht, und ist in diesem Fall dem Ressentiment gegen Sozialhilfebezüger geschuldet. Aber gegen “Sozialschmarotzer” lässt sich halt immer gut zu Felde ziehen.
Hardturm-Areal
Und nochmal eine schwierige Entscheidung: Das Projekt “Ensemble”. Ein Fussballstadion und zwei Wohntürme. Direkt vor unserer Nase.
Noch ist dies der Blick aus unserer Wohnung.
Und so könnte es in einigen Jahren aussehen.
Zunächst war ich für dieses Projekt. Mir fehlt zwar das Fussball-Gen, aber sollen die Fans doch ihren Spass haben. Auch finde ich grundsätzlich eine urbane Verdichtung, auch in die Höhe, sinnvoll für die wachsende Stadt Zürich. Im Sinne der Entwicklung unseres Quartiers müssen wir auch für Kompromisse offen sein, und ein Kompromiss ist so ein Projekt allemal. Und ich hoffte auf ein schickes Einkaufszentrum in Laufentfernung über die Limmat.
Wenn ich aber pro und contra bilanziere, kommt weder für mich direkt, noch für die Stadt genügend Gutes dabei heraus.
Es wird kein Einkaufszentrum geben, allenfalls “Kleinläden und Gastronomiebetriebe” für die Fussballfans.
Am meisten bin ich enttäuscht von der vollkommen uninspirierten Architektur der beiden geplanten Wohntürme. Quader, die nichts ausstrahlen als die Botschaft: “Wir sind jetzt hier und ihr habt mit uns klarzukommen”. Zukunftsorientierte moderne, ökologisch inspirierte Architektur gibt es schon viele (abgebildet der Oxygen Eco Tower in Jakarta). Wenn man bedenkt, dass die “Ensemble”-Gebäude noch in Jahrzehnten da sein werden, glaube ich, dass man bei ihrem Anblick schon bald von den Bausünden der zwanziger Jahre sprechen wird. Zürich – Stadt mit höchster Lebensqualität und höchsten Ansprüchen an sich selbst – hat etwas besseres verdient.
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