Tags

,

Bis Februar 2022 habe ich jede Abstimmung in der Schweiz kommentiert, und mich dadurch auch motiviert, mich mit den gestellten Themen auseinanderzusetzen. Das Schweizerische Prinzip, dass man durch die Abstimmungen herausgefordert ist, sich mit allen möglichen politischen Fragen näher zu befassen und sich zu entscheiden, ist eine tolle Sache.

Dann kam der Überfall Russlands auf die Ukraine.

Seitdem verfolge ich täglich die Nachrichten aus der Ukraine, und damit verglichen schrumpfen manche Probleme, mit denen wir uns hier sehr ernsthaft befassen.

Seit über einem Jahr geht der Horror immer weiter, und stellvertretend für die vielen unschuldigen Opfer, möchte ich diesen Beitrag der zweijährige Veronika Makarenko und ihre Mutter Olga widmen, die friedlich in ihrer Wohnung in Dnipro schliefen, als sie am vergangenen Freitag von einer russischen Granate aus dem Leben gerissen wurden. Ihr einziges Vergehen: Ukrainerinnen zu sein.

Quelle: https://twitter.com/Anna_Lena2022/status/1652018946512437250

Und dann noch ein “Disclosure”: Seit September 2014 habe ich die Schweizer Politik verfolgt, passiv, mal mehr, mal weniger intensiv. Jetzt ist für mich der Zeitpunkt gekommen, mich etwas aktiver einzumischen, und so werde ich als alter Grufti am 22. 10. für den Nationalrat kandidieren – als Zählkandidat ohne jede Perspektive, ins Parlament einzuziehen, auf einem der hinteren Listenplätze einer Zusatzliste der Grünliberalen Partei.

Das Schöne an der direkten Demokratie der Schweiz ist ja, dass man bei den Abstimmungen nicht in jedem Fall den Vorgaben der eigenen Partei folgen muss (ich fang gleich in diesem Beitrag damit an), und ich habe vor, auch in Zukunft selbst zu denken. Falls aber jemand von euch meine Empfehlungen durch meine Parteiaktivität kontaminiert sieht, lasst es mich einfach wissen, und ich nehme euch gerne von der Liste.

OECD/G20-Mindestbesteuerung

Seit Jahren senken immer mehr Länder ihre Unternehmenssteuern, um alle anderen zu unterbieten, und auf diese Weise grosse Unternehmen anzulocken. Um diesem “Race to the bottom”.ein Ende zu setzen, haben die G20, und in ihrer Folge auch die EU, nach vielen vergeblichen Anläufen beschlossen, dass Unternehmensgewinne überall mit mindestens 15% versteuert werden sollen. Dieser Beschluss ist mit einem kleinen Trick versehen: Wenn das Land, in dem der Sitz der Firma sich befindet, weniger als diese 15% erhebt, kann ein anderes Land die Differenz einkassieren. Ich muss nicht verstehen, welches Land genau, und wie das gehen soll, aber es scheint als Drohung zu funktionieren, so dass alle Parteien in der Schweiz sich einig sind, dass man diese 15% selbst erheben muss, weil sonst “im Ausland” abkassiert wird.

Denn die Schweiz ist eines der Länder, wegen denen die ganze Regelung beschlossen wurde. Die meisten Länder haben Gewinnsteuern von 15% oder mehr (insgesamt 2 Dutzend Steueroasen wie Irland, Gibralter, Liechtenstein, Zypern und eben die Schweiz liegen darunter). In der Schweiz liegen nur die Kantone Jura (17.42%), Bern (16.01%), Zürich (15.74%), Basel Land (15.71%) und Tessin (15.48%) leicht über 15%. Basel Stadt, Zug und Nidwalden liegen bspw. unter 10%.

Interaktive Karte auf: https://www.swissinfo.ch/ger/wirtschaft/oecd-mindeststeuer–darum-geht-s-bei-der-abstimmung/48401262

Jetzt soll also eine “Ergänzungssteuer” erhoben werden, um das, was die Kantone zu wenig einkassieren, abzuschöpfen. Nun ist der Streit darüber entbrannt, wem diese zusätzlichen Einnahmen (keiner weiss, wieviel es sein wird, aber man redet von 1 – 2.5 Mrd SFr) zugute kommt. Die jetzige Vorlage spricht den Kantonen ¾ dieser Einnahmen, dem Bund ¼ zu. Die SP meint, dass das für die Kantone zu viel und für den Bund zu wenig ist und lehnt deshalb die Vorlage ab. Die Grünen denken das auch, sind sich aber nicht sicher, ob sie diese Massnahme, die sie eigentlich wollen, deshalb ablehnen sollen (und haben “Stimmfreigabe” beschlossen), alle anderen sind dafür.

Meine Meinung dazu: Der Streit ist müssig. Über kurz oder lang werden die Kantone sowieso 100% dieser Steuereinnahmen bekommen, sie müssen nämlich nur ihren Steuersatz auf 15% erhöhen (und können dann auf anderem Weg die Unternehmen auf ihrem Gebiet fördern, was sie sicher tun werden).

Also: Ja!

Klima-Gesetz

Meine grösste Enttäuschung bei den Abstimmungen, an denen ich bislang teilgenommen habe, war, als im Juni 2021 das CO2-Gesetz von 51.6% der Abstimmenden verworfen wurde. Jetzt kommt, sozusagen als abgespeckte Version der Gletscherinitiative, das “Klima- und Innovationsgesetz” vors Volk.

Für meinen Geschmack ist das alles zu zahnlos, es gibt keine verbindlichen Vorgaben, und es ist jetzt schon abzusehen, dass die Schweiz mit diesem Gesetz keinen ausreichenden Beitrag zur Erreichung des 1.50 Ziels leisten wird. Aber gerade deshalb, weil alles unverbindlich ist, und freiwillig, und vielleicht erreicht wird, vielleicht auch nicht, hat diese Vorlage eine bessere Chance, angenommen zu werden. Wenn die Schweizerinnen und Schweizer auch diesen schüchtern-höflichen Versuch, sich von den fossilen Energieträgern unabhängig zu machen, ablehnen, fällt mir nichts mehr ein.

Ein interessanter Aspekt dieser Kampagne ist übrigens, SVP-Chef Rösti zu erleben, wie er als Bundesrat entgegen seiner Partei die Vorlage vertritt und das Wirken des sehr schweizerischen Kollegialitätsprinzips im Regierungshandeln erkennen lässt. Das nötigt mir Respekt ab.

Lieber als die Taube auf dem Dach ist mir der Rösti in der Hand

Deshalb unbedingt: Ja!

.

.

Covid-19-Gesetz

Der Apparat der Schweizer Demokratie ist nicht der schnellste, und so kommt es, dass wir im Juni 2023 nochmal über das COVID-19-Gesetz abstimmen, und jeder sagt: «Hä»?

Die Covid-Lage ist schon vor einiger Zeit von «Pandemie» auf «gefährliche, aber bewältigbare Virus-Infektion» übergegangen. Trotzdem sollen einige Sonderregelungen, die zur Abwendung der Pandemie eingeführt wurden, nochmal um ein halbes Jahr verlängert werden. Danach ist sowieso Schluss.

Mir kommt das ziemlich absurd vor:

  • Die Regelungen sollen nicht beibehalten werden, weil sie jetzt gebraucht werden, sondern für den Fall, dass das Virus bösartig mutiert. Und zwar, dass es das genau zwischen Januar 2024 und Juni 2024 tut. Davor gilt das Gesetz sowieso noch, und danach gilt es sowieso nicht mehr.
  • Nach meiner Lebenserfahrung kommt die nächste ernste Krise sowieso aus einer Ecke, aus der wir sie heute nicht erwarten (z.B. ein grossflächiger Hacker-Angriff, der die gesamte Infrastruktur lahmlegt, oder was man sich so ausdenken mag). Eine Vorrats-Panik zu bewirtschaften für das mögliche Eintreten eines ganz bestimmten Krisenauslösers halte ich für sinnlos. Viel wichtiger wäre es, die Wachsamkeit dafür zu schärfen, dass die Gesellschaft schneller auf neue, unvorhergesehene Bedrohungslagen reagieren kann. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Folge Zwei von COVID wird, halte ich für vernachlässigbar gering.
  • Im Gegensatz zu den «Freunden der Verfassung» und anderen Massnahmenkritikern, die sich gegen die Vorlage ausgesprochen haben, finde ich, dass die Regierungen in der Schweiz und drumherum ziemlich gut und verantwortungsvoll mit der Krise umgegangen sind. Dass die Verantwortlichen beim Auftreten einer unkalkulierbaren Herausforderung umsichtig und auch mutig «Handeln in Unsicherheit» praktizieren mussten, Fehler riskierten und auch besondere Vollmachten brauchten. Jetzt ist es wichtig, dass diese «besonderen Vollmachten» so schnell wie möglich wieder abgegeben werden, und nicht dem naturwüchsigen Bedürfnis von Bürokratien nachgegeben wird, Kompetenzen, die einmal erhalten wurden, einfach zu behalten.
  • Für mich war das grösste Problem bei der Corona-Krise, dass sie als Brandbeschleuniger gewirkt hat bei der Zersetzung des demokratischen Zusammenhalts unserer Gesellschaft. Verschwörungstheorien, Ausgrenzung, generelle Abwendung von demokratischer Öffentlichkeit, Misstrauen gegenüber Journalisten, Politikern usw. wurden im Lauf dieser Krise in ungeahnte Höhen geschleudert. Um so wichtiger ist es, zum normalen Prozedere zurückzukehren, und dieses Gift nicht weiter wirken zu lassen.

Erstaunt bin ich, dass ich mich in dieser Frage im Gegensatz zu einer breiten Mehrheit der im Parlament vertretenen Parteien sehe (Ausnahme: SVP). Aber seis drum: Nein.

Stadtzürcher Vorlagen

Ein Lohn zum Leben

Kommt man mit einem Stundenlohn von weniger als 23 Franken in Zürich über die Runden? 4% der Beschäftigten in Zürich verdienen weniger als das. Bei einer vollen Stelle wären das weniger als 4200 SFr im Monat. Und viele Niedriglohnempfänger arbeiten nur teilzeit.

Ganz grundsätzlich finde ich das Prinzip richtig, dass Arbeitsverhältnisse so ausgestaltet sein müssen, dass sie für die Beschäftigten ein Leben ohne Armut ermöglichen, sonst handelt es sich um nicht-nachhaltige Ausbeutung. Stundensätze, die selbst bei Vollbeschäftigung nicht zum Leben reichen, sind deshalb amoralisch und wenn die Tarifparteien diesen Missstand nicht abstellen können, ist es richtig, dass der Staat eingreift. Grundsätzlich.

Jetzt kommt es aber auf die Details an. 2014 – das war die letzte Abstimmung, bei der ich noch nicht selbst mitstimmen durfte, sonst wär das natürlich anders ausgegangen – versenkte das Schweizer Stimmvolk einen nationalen Mindestlohn mit einem wuchtigen Nein. Über 76 Prozent stimmten damals gegen einen Mindestlohn von 22 Franken pro Stunde. Das war eine falsche Entscheidung, aber sie ist gefallen; so ist halt Demokratie.

Seitdem versuchen die Gewerkschaften, den Mindestlohn über die Kantone und die Kommunen durchzubringen, und haben dabei teilweise Erfolg: in den Kantonen Neuenburg, Jura, Tessin, Genf und Basel-Stadt wurde er eingeführt. Jetzt soll er also auf kommunaler Ebene in Zürich kommen. Er soll 23.90 SFr betragen und für alle gelten, mit einigen Ausnahmen (z.B. Personen in Ausbildung und unter 25-Jährige ohne Berufsabschluss). Im Gemeinderat fand die Vorlage eine recht knappe Mehrheit von 69:51 Stimmen.

Für mich ist die kommunale Gültigkeit die grösste Schwäche der Vorlage. Zum einen gibt das enorme Abgrenzungsprobleme (er soll gelten «für alle Arbeitnehmenden, die mehrheitlich auf dem Gebiet der Stadt Zürich arbeiten.»). Ich kenne das noch von meiner Zeit bei SAP, wo die Leute aus dem einen Büro (im Stadtgebiet) zum Sechseläuten frei hatten, die anderen (ausserhalb des Stadtgebiets) nicht. Wenn sich sowas auf das Lohnniveau bezieht, ist es weniger lustig. Zum zweiten ergibt das – wenn nach und nach eine Stadt der anderen folgt – einen Flickenteppich von Regelungen, der administrativ immensen Aufwand erzeugt.

Dass eine Kommune überhaupt einen Mindestlohn beschliessen kann, belegt die Stadt mit einem Gutachten, in dem als Bedingung genannt wird, dass die Stadt damit sozialpolitische Ziele verfolgt. Mit dem Mindestlohn – so deshalb die Antragsteller – soll Erwerbstätigen ein angemessener Lebensunterhalt ermöglicht und die Sozialhilfe entlastet werden.

Sozialpolitisch ist der Mindestlohn aber ein sehr ungenaues Instrument: Von den Menschen, die unter der Armutsgrenze leben («poor») hilft er nur denen, die arbeiten («working poor») und wegen der niedrigen Stundensätze arm sind. Einer alleinerziehenden Frau etwa, die wegen schlechter Kinderbetreuung nur ein kleines Stundendeputat arbeiten kann, hilft eine Anhebung des Stundensatzes fast nichts. Andererseits gibt es Menschen in guten Sozialverhältnissen, die trotz sehr niedrigen Stundensatzes nicht arm sind (etwa wenn der Lebenspartner oder die Lebenspartnerin gut verdient).

Trotz des Konstruktionsfehlers «kommunale Gültigkeit» finde ich den Mindestlohn eine gute Sache. Nicht, um Sozialpolitik zu ersetzen, sondern um Grundregeln fairer Arbeitsverhältnisse durchzusetzen. So sieht das auch die EU. In allen EU-Mitgliedstaaten gibt es gesetzliche Mindestlöhne, ausser in fünf: Dänemark, Italien, Österreich, Finnland und Schweden.

Interaktive Karte: www.destatis.de/Europa/DE/Thema/Bevoelkerung-Arbeit-Soziales/Arbeitsmarkt/Mindestloehne.html

Im Oktober 2022 hat der Rat der EU (das sind die Regierungen) eine Richtlinie «über angemessene Mindestlöhne» verabschiedet. Dabei geht es darum, wie – in den Ländern, in denen es Mindestlöhne gibt – die Höhe dieser Löhne regelmässig angepasst wird, der Zugang der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zum Mindestlohnschutz, sowie die tarifvertragliche Abdeckung verbessert werden. Richtwert dort sind 80%, also dass 80% der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen Tarifvertrag haben.

In der Schweiz unterliegen bei 5.4 Mio Beschäftigten (https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/industrie-dienstleistungen/unternehmen-beschaeftigte.html) 2.1 Mio einem GAV (Gesamtarbeitsvertrag), davon 1.8 Mio einem GAV mit Mindestlohn. dam-api.bfs.admin.ch/hub/api/dam/assets/12947849/master).

Einer der GAV mit Mindestlohn ist der der Gastronomie, die als eine der kritischen Branchen genannt wird. Der Mindestlohn 2023 ist dort nach Lohnkategorie festgelegt.

Quelle: https://www.wirtepatent.ch/de/wissen/mindestlohn-in-der-gastronomie-n-was-verlangt-der-l-gav-207.html

Die Vorlage hätte demnach für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über 25 Jahre ohne Berufslehre direkte Auswirkungen (und wahrscheinlich müssten die Löhne für die anderen auch angepasst werden, wenn man die Staffelung erhalten will). Aber die Auswirkung wäre bescheiden. Dass die Einführung «die Sozialpartnerschaft untergraben» würde, kann ich nicht nachempfinden.

Kurz und gut, ich bin hin-und hergerissen und werde aus Prinzip ja stimmen, obwohl ich glaube, dass nur eine nationale Regelung eine wirklich runde Sache ist.

Wohnraumfonds, Objektkredit und Gemeindeordnung

Das sind zwei verbundene Vorlagen, die offenbar zusammengehören, und jedes Argument das für oder gegen die eine Vorlage gilt, gilt auch für die andere, deshalb behandle ich sie hier zusammen obwohl es wohl technisch so ist, dass jede für sich angenommen werden kann und muss.

Es geht darum, dass man mal beschlossen hat, dass bis 2050 ein Drittel aller Mietwohnungen in der Stadt gemeinnützig sein soll. Nun hat man mit Erstaunen festgestellt, dass die Wirklichkeit sich nicht nach den Beschlüssen richtet, und man trotz allerlei Förderung nicht über die 26.4% hinaus kommt. Und die Immobilienpreise steigen, die Nachfrage ist hoch und der Platz ist knapp. Deshalb soll jetzt nochmal Geld in die Hand genommen werden, umd das Drittel noch zu erreichen. Ein Fonds mit insgesamt 300 Millionen SFr soll aufgesetzt werden, aus dem Wohnbauträgerschaften Zuschüsse erhalten, damit sie auf eigentlich teurem Bauland doch noch erschwingliche Wohnungen erstellen können.

Ich muss gestehen, dass die Abwägung über das für und wider bei dieser Sache meine Kompetenz überschreitet. Ich verstehe die Absicht, aber ich kann wirklich nicht beurteilen, ob das ein Verfahren ist, das zur Linderung der Wohnungsnot in Zürich beiträgt. Falls ich in dieser Sache noch schlauer werde, mache ich vielleicht noch einen Nachtrag, aber im Moment werfe ich die Hände in die Höhe und sage: Macht, wie ihr wollt.

Pestalozzi-Bibliothek

und

Schulanlage Saatlen

Zum Abschluss gibts noch zwei ganz einfache Entscheidungen. Beide Male muss man nur ja sagen. Die Förderung der Pestalozzi-Bibliothek soll von befristet auf unbefristet umgestellt werden, und in Schwamendingen gibt es viel mehr Schulkinder, und deshalb brauchen die mehr Schulräume. Beides “no-brainer”. Und es gibt auch niemanden, der dagegen ist.

Advertisement