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Ansichten aus Zürich

Tag Archives: Abstimmungen

4 Abstimmungen ohne Corona

05 Saturday Feb 2022

Posted by hajovonkracht in Abstimmungen, deutsch

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Abstimmungen, Mediengesetz, Stempelabgaben, Tabakwerbung, Tierversuchsverbot

Viel zu spät um noch viel zu bewirken, möchte ich doch kurz und knapp meine Meinung zu den vier Abstimmungsfragen zum 13. Februar zu Protokoll geben – sowie meiner Verwunderung, dass wir diesmal vollkommen Corona-freie Entscheidungen zu treffen haben.

Tierversuchsverbot

Die Volksinitiative “Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot” will alle Versuche an Tieren komplett verbieten, ebenso den Import von Produkten, die unter Nutzung von Tierversuchen entwickelt wurden, z.B. Medikamente usw. Auch etlichen engagierten Tierschützern geht diese Initiative zu weit, sie hat es tatsächlich geschafft, bei einer Abstimmung im Nationalrat mit 195:0 Stimmen abgelehnt zu werden. Denjenigen, die wie ich in Tierversuchen ein tatsächliches Problem sehen, sei ein Interview mit Julika Fitzi, Leiterin der Fachstelle Tierversuche beim Schweizer Tierschutz (STS) empfohlen (Die Tierversuchsverbotsinitiative ist zu kurz gedacht)

Tabakwerbung

Eine wesentlich knappere Mehrheit gab es im Nationalrat gegen die Volksinitiative “Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung” (101:88 bei 7 Enthaltungen). Die Initiative will Tabakwerbung (und auch Werbung für elektronische Zigaretten) überall dort verbieten, wo Jugendliche mit ihr in Kontakt kommen könnten.

Zwei Argumente, die beide im Abstimmungsbüchlein stehen, sind für mich dabei ausschlaggebend: “Etwa die Hälfte der heutigen Raucherinnen und Raucher haben vor dem 18. Altersjahr täglich geraucht” (S.25), und “Die Schweiz schränkt Tabakwerbung viel weniger stark ein als die allermeisten Länder in Europa”.

Ich finde, jeder (Erwachsene) hat das Recht, sich zugrunde zu richten, wie er oder sie mag, aber es gibt keine Rechtfertigung, Kinder und Jugendliche mit Werbung dazu zu verführen. Dass die Zigarettenfirmen nicht mehr wissen, wohin mit ihrem Geld, wenn sie’s nicht mehr in die Werbung stecken können – damit müssen sie selbst fertig werden.

Stempelabgaben

Abgesehen davon, dass schon der Begriff klingt wie aus dem 17. Jahrhundert, geht es wirklich um einen relativ begrenzten Sachverhalt: Wenn eine Firma neues Kapital aufnimmt (z.B. durch die Ausgabe von Aktien), muss sie heute 1% dieses neu aufgenommenen Kapitals als Steuer berappen (sofern es sich um mehr als 1 Mio SFr handelt). Das Geld, das dadurch eingenommen wird, ist ebenso begrenzt wie die Anzahl Firmen, die davon betroffen sind. Die Steuer ist so was wie ein Schweizer Unikum (ach ja, auch in Griechenland und Spanien gibt es vergleichbares).

Betroffen sind von dieser Steuer ca. 4% der Schweizer Unternehmen, und zwar typischerweise kleine (Start-Ups), die viel Kapital aufnehmen müssen und unter der Steuer stöhnen, und grosse (v.a. Finanzkonzerne), die mit Kapitalaufnahmen jonglieren. Ganz schön dargestellt wird die Sache in einem Clip der SRF (So funktioniert die Stempelsteuer)

Im Abstimmungskampf wird jetzt diese Angelegenheit aufgebauscht als eine fundamentale links-rechts Schlacht, und jede der Seiten trägt ihre Feindbilder vor. Sie ist es aber nicht wert. Die Welt wird weder besser, wenn die Steuer abgeschafft wird, noch wenn sie bleibt. Es gibt hier einfach kein Problem, das seiner Lösung harrt. Deshalb werde ich zur Entscheidung eine Münze werfen.

Mediengesetz

Während es beim letzten Punkt kein Problem gab und deshalb jede “Lösung” so gut war wie die andere, besteht bei der Entwicklung der Medienlandschaft tatsächlich dringender Handlungsbedarf. Allerdings bin ich überhaupt nicht überzeugt, dass das vorgeschlagene Medienpaket mehr leisten kann, als den politischen Akteuren das gute Gefühl zu geben “etwas getan” zu haben.

Der Medienkonsum der Menschen ändert sich, lokale Nachrichten verlieren rapide an Bedeutung, junge Menschen lesen keine Zeitungen mehr sondern erhalten “breaking news” auf Internetportalen, Qualitätsjournalismus lässt sich kaum noch finanzieren, und wenn, dann nur in ganz wenigen Zentren. Das hat Auswirkungen auf den Zusammenhalt der Gesellschaft, die Informiertheit und auch die Qualität direkt-demokratischer Entscheidungsfindung. Deshalb können diese Veränderungen der Politik nicht gleichgültig sein.

Trotzdem hat mich das vorgeschlagene Paket nicht überzeugt. Dass das Stopfen von Papier in Briefkastenschlitze subventioniert wird, dass online-Medien nach sonderbaren Kriterien Geld bekommen sollen usw. wird diese Probleme nicht lösen, allenfalls kurzzeitig überkleistern. Sehr aufschlussreich fand ich die Stellungnahme des Sekretariats der Wettbewerbskommission (Vorsicht, schwere, aber lohnenswerte Kost! Ämterkonsultation, PDF)

Die Verlage müssen von dem Abo-zentrierten Geschäftsmodell, das die Papierzeitung abbildet, auf ein Content-Modell übergehen, so wie auch die Musikindustrie im Zeitalter von MP3 das tun musste. Sonst wird das alles nix, und wir werfen nur einer sterbenden Branche Geld hinterher. (Ich hab mich im Mai 2019 schon mal gründlicher mit dem Thema befasst, wer interessiert ist, mag dort nachlesen: Digitaler Druck auf die Presse). Also: gewogen und zu leicht befunden.

Die Mühen der Demokratie

08 Monday Nov 2021

Posted by hajovonkracht in Uncategorized

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Abstimmungen, Justiz-Initiative, Pflegeinitiative

Drei eidgenössische, eine kantonale und vier städtische Vorlagen werden uns diesmal vorgelegt. Eigentlich verdient jede, dass man sich gründlich mit der Materie auseinandersetzt, aber die Aufmerksamkeit verteilt sich diesmal auf so viele Themen, dass man kaum hinterher kommt.

Zunächst zu den eidgenössischen Vorlagen.

1. Pflegeinitiative

Im Bereich der Pflege gibt es in der Schweiz drei Problemfelder:

  • Es gibt unbesetzte Stellen, weil es zu wenig Ausbildung gibt, bzw. die Schweiz ist auf Anwerbung ausgebildeter Pflegefachkräfte aus dem Ausland angewiesen.
  • Viel zu viele Pflegende verlassen nach wenigen Jahren ihren Beruf, weil sie die Arbeitsbedingungen nicht aushalten, dazu gehört auch schlechte Bezahlung, aber vor allem Notfallschichten, zu viele Betreute pro Betreuungskraft usw.
  • Die Pflege befindet sich am unteren Ende der Hackordnung im Gesundheitswesen, darf oft nicht selbständig arbeiten und ist weitgehend auf Anordnungen der Mediziner angewiesen (obwohl sie oft die Patienten besser kennen).

Das alles will die Initiative ändern und weist dem Bund die Aufgabe zu, für genügend diplomierte Pflegekräfte, gute Arbeitsbedingungen, bessere Abgeltung, berufliche Entwicklungsmöglichkeit und direkte Abrechnung mit den Kassen zu sorgen.

“Halt”, sagt da die Mehrheit im Parlament, das geht zu weit. Ausbildungsoffensive ja, das ist in einem Gegenvorschlag enthalten, der auch schnell in Kraft treten könne (aber nur, wenn die Initiative abgelehnt wird), aber Arbeitsbedingungen und das ganze andere Gedöns sollen die Pflegekräfte doch weiterhin mit den Spitälern, Heimen und Spitexorganisationen auskaspern.

Dazu fallen mir nur zwei Dinge ein: Erstens, die Angehörigen der Pflegeberufe sind gut darin, andere zu betreuen, aber sauschlecht darin, ihre eigenen ständischen Interessen durchzuboxen. Sie sitzen notorisch am kürzeren Hebel und kommen gegen Krankenkassen, Heim- und Spitaldirektionen niemals an. Ergebnis: Individuelles Resignieren und Abstimmen mit den Füssen, genau wie das jetzt passiert. Zweitens, wenn es der Parlamentsmehrheit nicht darum ginge, ihre Ausbildungsoffensive als Erpressungsinstrument gegen die Initiative einzusetzen, sondern tatsächlich die Situation zu verbessern, würde nichts und niemand dagegen sprechen, diese auch bei Annahme der Pflegeinitiative schnell zu implementieren. Deshalb ein eindeutiges ja.

2. Justiz-Initiative

Nach dieser Initiative sollen die Bundesrichterinnen und Bundesrichter nicht mehr wie bisher vom Parlament gewählt, sondern aus einer Gruppe von vorher auf ihre Qualifikation geprüften Kandidaten per Los bestimmt werden.

Die Initiative geht zurück auf Adrian Gasser, einen typisch Schweizer Eigenbrötler, der mehr oder weniger im Alleingang diese Initiative zustande gebracht hat (im Echo der Zeit gab es 2019 einen interessanten Bericht über ihn und seine Initiative), und das typisch Schweizerische ist, dass so jemand es soweit bringen kann, dass das ganze Land über seine Idee abstimmt, ähnlich wie bei der Hornkuh-Initiative vom November 2018.

Ich muss gestehen, dass ich klammheimlich ein wenig Sympathie für diese Initiative habe. Nicht nur werden die Bundesrichter heute aus den Reihen der Parteien aufgestellt und gewählt, sie müssen sich auch nach sechs Jahren der Wiederwahl durchs Parlament stellen (und werden in aller Regel auch wieder gewählt), aber das begrenzt schon ihre Unabhängigkeit. Und die “Mandatssteuer” – die Abgabe, die sie für ihre Partei zu zahlen haben als Gegenleistung für ihre Aufstellung, halte ich schlicht für sittenwidrig.

Dass die Parteien alle unisono gegen die Initiative zu Felde ziehen, kann ich nachvollziehen und muss man nicht allzu ernst nehmen: ihr Einfluss würde geschmälert. Trotzdem glaube ich, dass man dem Vorschlag bei etwas Nachdenken nicht zustimmen kann. Vor allem, dass diese Losentscheidung quasi auf Lebenszeit (genauer: bis fünf Jahre nach Erreichen des Rentenalters) gelten soll, bringt ein Ausmass von Unberechenbarkeit in den Prozess, der selbst mir zu hoch ist. Also – schweren Herzens: nein.

3. Covid-19-Gesetz

Die kommende Abstimmung über die neuesten Änderungen zum Covid-19-Gesetz (wohlgemerkt, das sind die Änderungen, die das Parlament am 19. März 21 beschlossen hat; danach am 13. Juni 21 haben wir über die Fassung abgestimmt, die bereits am 25. September 2020 vom Parlament beschlossen worden war; Corona bringt etwas völlig ungewohntes und neues in die Schweizer Politik: Tempo!), also diese kommende Abstimmung hat für mich zwei ganz unterschiedliche Aspekte, und ich weiss nicht mal, welcher langfristig der wichtigere ist.

Der eine Aspekt betrifft die Pandemiebekämpfung: Sind die vorgeschlagenen Massnahmen notwendig, hinreichend und geeignet, die Gesellschaft und ihr Funktionieren vor der Pandemie zu schützen? Darüber gleich mehr.

Der andere Aspekt bezieht sich darauf, was derzeit in unserer Gesellschaft passiert. Dass wir nämlich aufhören, miteinander zu reden. Dazu sind die Umfrageergebnisse im Vorfeld der Abstimmung sehr interessant. Sie unterscheiden sich nämlich strukturell von denen anderer Abstimmungen insofern, als es fast keine Halb-überzeugten und Unentschlossenen gibt. Es gibt eine solide Pro-Mehrheit von 70-80% sowie eine “bekennende” Contra-Minderheit von ca. 15% über alle Parteien mit Ausnahme der SVP (da ist es umgekehrt, wenn auch weniger ausgeprägt), aber jeder scheint sich in seiner Meinung eingemauert zu haben. Das war bereits in der ersten Welle der Umfrage der Fall.

Mein Eindruck ist, dass die Argumente der Gegenseite zunehmend als absurd, nicht des Nachdenkens wert, und das Ergebnis alternativ von verschwörungsgläubigen Aluhüten oder ferngesteuerten Regierungsbütteln wahrgenommen werden.

Ich werde im Folgenden begründen, warum ich für die Annahme des Covid-Gesetzes bin. Ich habe Rolf Bänteli, einen regelmässigen Leser dieses Blog, den ich für einen vernünftigen, informierten und gebildeten Menschen halte, und der eine radikal andere Sicht auf das Thema hat, gebeten, mir einen kurzen Text zu liefern und seine Position zu begründen. Sein Text findet sich am Ende dieses Blog. Ich stimme seinen Thesen und vor allem seinen Schlussfolgerungen nicht zu, finde es aber wert, sie zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen.

Worum geht es in dem Gesetz?

  • Finanzielle Hilfen für eine lange Liste von Menschen und Organisationen, die unter den corona-bedingten Einschränkungen zu leiden hatten und haben. Dagegen kann niemand etwas haben
  • Das Contact-Tracing bleibt in der Kompetenz der Kantone, aber der Bund stellt ein schweizweit funktionierendes System zur Verfügung. Wenn man nicht der Meinung ist, dass überhaupt kein Tracing stattfinden soll, ist es selbstverständlich sinnvoll, dass dieses Tracing nicht lokal begrenzt ist. Das wäre plemplem. Ich habe mich lange geärgert, dass die Schweiz und Deutschland zwei auf der selben Technologie beruhende aber inkompatible Systeme hatten, die mich bei jedem Grenzübertritt im Stich liessen; das wurde inzwischen gefixt, so dass meine Schweizer App auch in Deutschland funktioniert. Zum Glück. Die Vorstellung, dass mit diesem Tracing “chinesische Zustände” in der Schweiz Einzug halten, ist irgendwelchen Fieberträumen geschuldet, hat aber mit der Realität nichts zu tun.
  • Das Covid-Zertifikat (einheitlich und fälschungssicher) halte ich für eine Wohltat, die mir erlaubt, mich sowohl innerhalb als auch ausserhalb der Schweiz freier zu bewegen, und die ich nicht missen möchte. Sicher gibt es ungelöste Fragen rund um das Zertifikat: Was ist mit dem Auslaufen des Impfschutzes, mit Booster? Sollten die Tests vielleicht doch weiterhin kostenfrei angeboten werden?
  • Und schliesslich bleibt das “Impf-Privileg“. Interessant finde ich die Stellungnahme des Referendumskomitees, wo beklagt wird, “dass die strengen Quarantänevorschriften ausschliesslich für Menschen gelten, die sich nicht impfen lassen wollen oder können. Gleichzeitig sollen Einschränkungen für Geimpfte aufgehoben werden […] Das ist pure Diskriminierung.” – Ich schliesse daraus, sie hätten weniger Probleme, wenn die “strengen Quarantänevorschriften” für alle gälten. Ich sehe darin keinen Vorteil.

Meine Schlussfolgerung: Selbst wenn ich der Meinung wäre, dass die Covid-19 Erkrankung weniger schlimm ist als viele behaupten, selbst wenn ich mich aus persönlicher Überzeugung entschliessen würde, mich nicht impfen und stattdessen regelmässig testen zu lassen, könnte ich dem Gesetz zustimmen; die apokalyptischen Vorstellungen dass der Bundesrat mit diesem Gesetz “die Kontrolle über das gesamte Leben der Bürger” erhält halte ich für komplett abwegig. Deshalb stimme ich dafür.

Für den Kanton Zürich gibts diesmal nur eine Vorlage,

Das Energiegesetz

Langsam werde ich in dieser Frage richtig nervös. Schon die Ablehnung des CO2-Gesetzes im Mai war für mich eine grosse Enttäuschung. Dann kamen die Überschwemmung im Ahrtal, Hitzewellen in Alaska und Kanada, Brände in Sibirien, Rekordtemperaturen hier und dort, usw. usf. Es hört nicht auf.

Deshalb habe ich hier zur Einstimmung ein Video eingefügt, in dem Harald Lesch in ziemlich drastischer Weise darüber spricht, in welcher Situation wir uns weltweit befinden. Ich kanns nur empfehlen.

Klimakatastrophe, Klima-Angst, Klimaschutz

Nun zur Vorlage selbst: Öl- und Gasheizungen, die im Kanton 40% der klimabelastenden CO2-Emissionen verursachen, sollen – nicht jetzt, nicht bis 2030 – “am Ende ihrer Lebensdauer” durch klimaneutrale Heizungen ersetzt werden. Mit einem Haufen Ausnahmeregelungen: falls die Kosten der klimaneutralen Heizung über die Lebensdauer um mehr als 5% höher ausfallen und andere Härtefallregelungen. Die Gegner des Gesetzes vom Vermieterverband haben schnell festgestellt, dass es aufwendig sein kann, alle Lücken zu finden, durch die man schlüpfen müsste, wenn man partout weiter fossilen Kohlenstoff verheizen will (Wie will man a priori wissen, wie hoch die Kosten über die gesamte Lebensdauer von 20 Jahren sein werden? usw.). Sie nehmen das als Kritik am Gesetz. Mir gefällts.

Mein Problem ist ein anderes: Ich habe mich bei unserer Hausverwaltung erkundigt und die einerseits beruhigende, andererseits besorgniserregende Nachricht bekommen: “Die (Gas-)Heizung in der Liegenschaft ist neueren Datums (2016). Somit können wir die nächsten 15 – 20 Jahre noch ‘zuwarten’ und sind nicht in einem Zugzwang.” – Ob das so eine gute Idee ist?

Ich werde dem Gesetz auf jeden Fall zustimmen.

Für die Stadt Zürich haben wir diesmal vier Vorlagen, wobei zwei eng zusammengehören

1. & 2. Kommunale Richtpläne

Ja; mach nur einen Plan
Sei nur ein grosses Licht!
Und mach dann noch 'nen zweiten Plan
Gehn tun sie beide nicht.
(Bert Brecht, Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens) 

Zur Abstimmung stehen der “Kommunale Richtplan Siedlung, Landschaft, öffentliche Bauten und Anlagen”, sowie der “Kommunale Richtplan Verkehr”. Beide beziehen sich aufeinander. Beim Versuch, herauszufinden, worum es überhaupt geht – die beiden Richtpläne sind nicht in den Abstimmungsunterlagen enthalten – wurde mir bald klar, warum: der eine umfasst 170 Seiten, der andere 77 Seiten. Viel Spass beim Lesen!

Weil die Texte so ellenlang und sperrig sind, die kurzen Contra-Voten von FDP und SVP dagegen so holzschnittartig und unernsthaft wirken (“Wollen wir eine Stadt wie zu DDR-Zeiten?”) und ich ausserdem von der Tatsache geplättet war, dass eine grosse Zahl Ratsmitglieder, die diese Pläne selbst verabschiedet haben, gegen sie das “Parlamentsreferendum” ergriffen haben, habe ich in meinem Nachtcafé Sven Sobernheim, einen der Gemeinderäte, die an der Ausarbeitung der Pläne von Anfang an dabei waren, gebeten, uns das Zustandekommen, den Sinn und das Abstimmverfahren zu erläutern.

Ich fühle mich trotz seines anschaulichen und interessanten Berichts immer noch ein wenig überfordert, aber mein Résumé ist wie folgt:

Beide Pläne sind eingefügt in ein komplexes System nationaler, kantonaler und regionaler Pläne, sind das Ergebnis jahrelanger Fleissarbeit und unzähliger Einwendungen und versuchen, die Stadtentwicklung zu beschreiben und Orientierung für die Verwaltung zu geben, wobei man von einem (für meine Verhältnisse) eher bescheidenen Bevölkerungswachstum von 25% über die nächsten 20 Jahre ausgeht und versucht, bereits durch Abstimmungen beschlossene Entscheidungen (z.B. Velo-Initiative 2020 usw.) in die Planung einzubauen. Wichtig ist noch, dass sie sich an die Verwaltung richten; sie “entfalten keine Rechtswirkung für Private”. Und: auch den Verfassern dieser Pläne ist klar, dass es erstens anders kommt zweitens als man denkt, deshalb verstehen sie diese “als rollende Planung”, die “mindestens alle vier Jahre einer Teilrevision unterzogen werden” soll. Na, ich freu mich schon. Einen einigermassen verdaulichen Überblick in die Ideen, die den Plänen zugrunde liegen, gewinnt man aus dem Faltblatt “Zürich 2040”, das hier gezeigt und verlinkt ist.

Die Einwände, die von FDP und SVP vorgebracht werden, kann ich nicht wirklich ernst nehmen. Wenn man schon bei der Velo-Initiative dagegen war und sich jetzt ereifert, dass die Verwaltung den Mehrheitswillen umsetzen will, wenn man den “historischen Parkplatzkompromiss” von 1996 höher gewichtet als die Herausforderungen des Klimawandels auch für die Verkehrsgestaltung, wenn man Enteignungen an die Wand malt wo gar keine Rechtswirkung für Private existiert, da zeigt man, dass man den kommenden Wahlkampf vorspurt, statt sich auf Lösungen einzulassen.

Einen Punkt möchte ich noch ansprechen: Sowohl FDP als auch SVP entdecken ihr Herz für den öffentlichen Verkehr und beklagen, dass die grossflächige Einführung von Tempo 30 diesen verlangsamt. Das wäre natürlich schlecht, deshalb habe ich Sven gefragt. Er meint: “Der ÖV fährt in der Stadt selten über 30 km/h. Als Beispiel kann ich dir die Strecke Höngg – Wipkingerplatz liefern. Dort hat das Tram aktuell mehrheitlich als Maximalgeschwindigkeit 30 oder kleiner signalisiert. An wenigen Stellen darf es bis zu 42 fahren, aber fährt in der Regel nicht über 36. Von daher sind die Zeitverluste gegenüber der Lärmreduktion zu gewichten und da ist für mich die Lärmreduktion von MIV deutlich relevanter als die paar Minuten. Der ÖV in der Stadt, also Bus und Tram, gewinnen nicht wegen der Geschwindigkeit.”

Ich werde den Plänen jedenfalls zustimmen. Wenn meine Zustimmung etwas weniger als begeistert ist, dann deshalb, weil ich nicht überzeugt bin, dass Gegenstände wie diese für eine direktdemokratische Abstimmung geeignet sind, und eine solche durch den Missbrauch eines “Parlamentsreferendums” (das ja eigentlich dafür gedacht ist, dass die unterlegene Seite des Parlaments das Volk anrufen kann) erzwungen werden sollte.

3. Fernwärmeversorgung

Zu den bestehenden ca. 25% der Haushalte in Zürich, die mit Fernwärme versorgt werden, sollen bis 2040 Gebiete in Wipkingen, Oberstrass, Unterstrass und andere hinzugefügt (in der Karte blau eingefärbt) und damit diese Zahl auf 30% erhöht werden (wir selbst gehören nicht dazu).

Mal wieder gab es im Gemeinderat eine Abstimmung “Alle gegen die SVP” (102:17), und ich werde auch für die Vorlage stimmen. Ich habe aber einige Bedenken, die ich hier teilen möchte.

Fernwärme ist im Prinzip eine Super-Sache als dezentrales Konzept. Die Quelle dieser spezifischen Fernwärme ist das Kehrichtheizkraftwerk Hagenholz, und das hat ein paar Probleme.

1. Die Energie dieses Kraftwerks stammt zu 65% aus der Kehrrichtverbrennung, zu 20% aus Erdgas und Heizöl, zu 15% aus Holz [stadt-zuerich.ch]. Ist das klimafreundlich? Wie man’s nimmt. Angesichts des beschlossenen Ziels, bis 2040 auf Stadtgebiet auf Netto-Null bei der Treibhausgasemission zu kommen, muss hier noch mehr getan werden. Das wird laut Prospekt auch angestrebt, ist aber nicht Bestandteil dieser Abstimmung. Hoffen wir also.l

2. Mit einer Kapazität von 230 000 bis 240 000 Tonnen Abfall pro Jahr ist Hagenholz die grösste Müllverbrennungsanlage in der Schweiz [stadt-zuerich.ch]. Und die Zürcher schmeissen auch etliches in die Tonne. Aber nicht genug. 2016 waren es ca. 72’000t. In Hagenholz landeten aber 242’000t. Die Differenz kam von ausserhalb der Stadt.

Mit teilweise offenbar überregionalen Müll-Importen und der Abhängigkeit, dass man, damit es im Winter warm wird, genug Müll produzieren muss, scheint mir nicht die Fernwärme an sich, aber diese Fernwärme (mit Müllverbrennung generiert, mit fossilen Brennstoffen angereichert, zentralisiert) eine problematische und nur bedingt nachhaltige Komponente von Klimapolitik zu sein.

4. Wohnsiedlung Hardau I

Am Hardaupark sollen entlang der Hardstrasse drei Gebäude mit heute 80 kleinen Wohnungen (rot markiert) abgerissen und durch ein neues Ensemble mit 122 grösseren Wohnungen ersetzt werden.

Alle stimmen dem Projekt zu (Gemeinderat 98:17) bis auf die SVP, die in ihrer auffallend lustlos geschriebenen Minderheitsmeinung genau die Dinge als “klientelgerecht” kritisiert, die die Mehrheit als wegweisend für die Erfüllung der urbanen Wohn- und Lebensbedürfnisse herausstreicht: Minergie-Standard, Photovoltaik-Anlage auf dem Dach, Kindergarten, 1/3 der Wohnungen subventioniert, wenig Auto-Parkplätze, dafür viele für Velos. (Einen Artikel zu dem Projekt, auch zur Frage, was mit den bisherigen Bewohnern der Gebäude passiert, gab es im Tagi.) Die von der SVP gewitterte “Klientel” sind offenbar die Menschen, die nicht SVP wählen, und das ist in Zürich eine deutliche Mehrheit.

Anhang: Stellungnahme von Rolf Bänteli zum Covid-Gesetz

In meinem ersten Beruf bin ich promovierter Chemiker und habe 15 Jahre als Laborleiter Pharmaforschung bei Ciba-Geigy und Novartis gemacht. Ich werde beim Covid-Gesetz nein stimmen.

Ich möchte zuerst nochmal in Erinnerung rufen, womit wir es gemäss meinem Wissensstand zu tun haben:

  • Die Corona-Grippe ist eine ernst zu nehmende Erkrankung, deren Letalität bei ca. 0.1% bis 0.5% liegt, was mit einer mittelstarken Grippe vergleichbar ist.
  • Das Medianalter der Verstorbenen liegt bei über 80 Jahren, also im Bereich der normalen Lebenserwartung, und 96% der Verstorben litten an mindestens einer Vorerkrankung.
  • Die Spitäler waren in den ganzen eineinhalb Jahren wie seit Jahren üblich im Winter sehr gefordert aber nicht überlastet
  • Derzeit gibt es keine Übersterblichkeit.
  • Ca. 95% aller mit dem Coronavirus infizierten Personen entwickeln milde oder moderate Symptome und müssen nicht hospitalisiert werden. Eine Frühbehandlung kann schwere Verläufe reduzieren.
  • Zertifikate (Imfpässe) sind in vielen Ländern verboten.

Ich stimme gegen das Covid-Gesetz, weil ich Zertifikatspflicht und den damit verbundenen Druck, sich zwei mRNA-Injektionen verabreichen zu lassen, als nicht zielführend erachte.

Wenn eine Massnahme wie eine Zertifikatspflicht ergriffen wird, muss sie ein messbares Ziel haben, an dem man ablesen kann, ob die Massnahme effektiv ist und das Ziel erreicht wurde, damit sie dann wieder aufgehoben werden kann. Das Covid-Zertifikat hat kein messbares Ziel, und somit bleibt es im Ermessen der Regierung, ob und wann diese Massnahme aufgehoben werden wird. Sie hat sich sozusagen verselbständigt und ist willkürlich. Dazu sage ich nein.

Für die mRNA-Injektionen wird der positiv besetzte Begriff “Impfung” verwendet. Das ist irreführend, denn die mRNA-Injektion ist eine genbasierte Therapie und somit ein grundsätzlich anderer Wirkmechanismus als eine klassische Impfung mit einem abgeschwächten Virus. Um eine neue Impfung auf dem Markt zu bringen, braucht es eine Entwicklung, die wegen der Langzeitstudien mindestens 8 Jahre dauert. Nicht so hier: diese mRNA-Wirkstoffe wurden in nur 1 Jahr entwickelt und zugelassen. Man kann darum noch nichts wissen über die Langzeitwirkungen. Über den Einfluss auf die Fertilität, über das allfällige Auftreten von Autoimmunerkrankungen oder Krebs ist noch nichts bekannt. Diese Wirkstoffe stecken noch in einem experimentellen Stadium. Man kann nur hoffen, dass alles gut geht.

Ich persönlich finde das Risiko, diese Wirkstoffe einem Grossteil der Bevölkerung zu geben, einfach zu gross. Insbesondere ist es für mich schlicht unverantwortlich, dass junge Menschen zu diesen mRNA-Injektionen animiert werden. Dazu sage ich nein.

Rolf Bänteli, Dr. sc. nat.

Wohnung ohne eigenen Parkplatz aber mit Blick auf eindrucksvolles Tunnelportal

23 Thursday Jan 2020

Posted by hajovonkracht in deutsch

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Abstimmungen, Bezahlbare Wohnungen, Diskriminierungsverbot, Entlastungsinitiative, Mittelstandsinitiative, Rosengartentunnel, Taxigesetz, Tramdepot Hard

Fünfhundert Menschen, die direkt in Sichtweite vom geplanten Portal des neuen Rosengartentunnels in ihre neuen urbanen Wohnungen ziehen, werden den Autoverkehr im Tunnel schon mal nicht belasten: Für sie – weil “mit öffentlichen Verkehrsmitteln sehr gut erschlossen” – sind schon gar keine Stellplätze geplant. Sie können das Tunnelportal nur von aussen bewundern. Aber im Einzelnen.

Abstimmung Stadt Zürich: Tramdepot Hard

Direkt an der Wipkingerbrücke liegt ein altes, schönes Tramdepot aus früheren Zeiten. Leider erfüllt es seine Funktion immer weniger, und dahinter liegt eine etwas schäbige und schlecht genutzte Wendefläche. Also will man es renovieren und plant bei der Gelegenheit gleich 193 Wohnungen für ca. 500 Menschen in zwei Wohntürmen.
Darüber gibt es – wie immer bei solchen Projekten – verschiedene Meinungen. Der denkmalgeschützte Teil bleibt erhalten. Die geplanten Mietpreise sind höher als von Genossenschaftswohnungen (was die AL ärgert), aber liegen deutlich unter dem Durchschnitt (für eine 3½-Zimmer-Wohnung geplant 1910 Franken; Durchschnitt im Escher-Wyss-Quartier: 2370 Franken).
Für mich besonders interessant, und für die SVP auch ein Stein des Anstosses: “Da [das Areal] mit öffentlichen Verkehrsmitteln sehr gut erschlossen ist, wird auf Autoparkplätze für die Bewohnerinnen und Bewohner verzichtet.”
Im Gegensatz zur SVP halte ich das für durchaus zukunftsorientiert, und – wenn man ein paar Car-Sharing Plätze bereithält – auch ohne weiteres zu vertreten, weshalb ich dem Objektkredit von 203 Millionen fröhlich zustimmen werde (auch wenn ich mich frage, warum man diese Wohnturmquader immer so fantasielos hinklotzen muss).

Die Ironie aber besteht darin, dass man diese autolosen Wohn-Einheiten genau mit Blick auf das geplante Portal des neuen Rosengartentunnels errichtet, und damit kommen wir zur zweiten Abstimmung.

Abstimmung Kanton Zürich: Rosengartentunnel
Darüber wird erbittert gestritten, und es treten die Freunde des Autos einerseits und die Gegner des Autos andererseits in durchaus erwartbarer Weise gegeneinander an. Ich muss sagen: Wenn man mit dem Finger schnipsen könnte, und der geplante Tunnel wäre da – morgen, am 10. Februar 2020 – dann hätte das gewisse Vorteile. Die Rosengartenstrasse macht ihrem Namen heute Schande, und den Verkehr unter die Erde bringen und oberirdisch Strassenbahnen fahren lassen verbessert die Wohnsituation. Und selbstverständlich: die Wohnsituation besser machen führt zu höheren Mieten. Dafür ist halt auch die Wohnsituation besser.
Aber man kann nicht mit dem Finger schnipsen. (Man kann schon, aber dann passiert nichts.)
“Mit dem Bau kann […] realistischerweise frühestens 2024 begonnen werden – und der Tunnel kann frühestens 2030 bzw. das Tram 2032 in Betrieb genommen werden.” (aus dem erläuternden Bericht der Volkswirtschaftsdirektion). Das ist der Beginn. Vorher zehn Jahre Baustelle. Amortisiert haben sich die 1,1 Milliarden erst zwanzig Jahre später, also ca. 2050. Wenn man jetzt bedenkt, wie schnell sich die Klima- und Verkehrswende-Dinge entwickeln, vor welchen dramatischen Umwälzungen wir stehen, dann erscheint dieses Projekt – eine Milliarde für einen Autotunnel für Fahrzeuge, die es dann womöglich – und hoffentlich – gar nicht mehr gibt, ein Monsterprojekt aus einer vergangenen Epoche, das ein Eigenleben annimmt. Vielleicht kann man in dem Tunnel 2050 ja Champignons züchten. Besser wäre, heute den Bau nicht beschliessen.

Abstimmung Kanton Zürich: Personentransport mit Taxis und Limousinen
Was mich am meisten an den Zürcher Taxis stört ist der unsinnig hohe Preis. Wenn ich anderswo bin, nehme ich viel schneller mal ein Taxi. Das ist nicht nur ein Gefühl sondern lässt sich mit Zahlen belegen. Und es geht nicht nur mir so. (Umfrage “20 Minuten” von 2014)

Aus dem ursprünglich sinnvollen Vorschlag des Regierungsrats, Taxis im Kanton einheitlich zu regeln, hat der Kantonsrat ein Uber-Regulierungs-Paket geschnürt, das so wirkt, als sei es direkt von der Taxi-Lobby geschrieben. Die Taxi-Preise sind anderswo ja auch wegen Uber und anderer Konkurrenz so niedrig. Und ja, ich halte die “share economy” für eine zweischneidige Sache und finde, dass man sie sehr kritisch begleiten muss. Trotzdem.
Wenn man die Konkurrenz klein und die Preise hoch halten will, dann sollte man dem neuen “Gesetz über den Personentransport mit Taxis und Limousinen (PTLG)” in der vorliegenden Form zustimmen. Sonst eher nicht.

Abstimmung Kanton Zürich: Entlastungs- bzw. Mittelstandsinitiative
Es gibt zwei sich gegenseitig ausschliessende Initiativen. Die eine (“Entlastungsinitiative”) will die Steuern für niedrige Einkommen (bis 100’000 Jahreseinkommen) senken und die für hohe Einkommen erhöhen (Spitzensatz von 13% auf 17%), die andere (“Mittelstandsinitiative”) will die Steuern für alle senken, aber vor allem für Besserverdienende (Spitzensatz von 13% auf 12%). Falls beide Initiativen angenommen werden, muss man sich per Stichfrage für eine von ihnen entscheiden.

Die “Mittelstandsinitiative” würde erst mal zu Steuerausfällen von 700 Millionen Franken im Jahr führen. Nun ja, 2018 hatte der Kanton einen Überschuss von 548 Millionen Franken, und warum soll man den nicht an die Bürgerinnen und Bürger zurückgeben? Was mich an der Initiative stört, ist, dass die Reduktion – auch prozentual – je kräftiger ausfällt, je höher die Einnahmen sind.

An der “Entlastungsinitiative” gefällt mir die Entlastung der unteren Einkommen, aber die Steigerung für die hohen Einkommen ist aus der momentanen Finanzlage nicht begründet und führt wahrscheinlich zur Abwanderung einiger sehr Betuchter.

Wenn’s nach mir ginge, hätte ich in der jetzigen Lage eine deutliche Senkung auf die Steuern der unteren (bis 100’000), eine leichte Senkung auf die der mittleren (bis 250’000) und eine Beibehaltung auf die der hohen Einkommen vorgeschlagen. Aber auf mich hört ja keiner.
Die vorliegenden Vorschläge überzeugen mich jedenfalls beide nicht. Und was ist das kleinere Übel? Die Entlastung der geringen Einkünfte ist stärker bei der “Entlastungsinitiative”, deshalb wäre ich zur Not für diese.

Abstimmung Schweiz: Mehr bezahlbare Wohnungen

Gemäss dem Mietpreisindex des Bundesamtes für Statistik sind die Mieten in der Schweiz seit dem Jahr 2000 um durchschnittlich 28 Prozent gestiegen. Der Landesindex der Konsumentenpreise, der die durchschnittliche Teuerung misst, ist im gleichen Zeitraum lediglich um acht Prozent gestiegen. Es besteht also Handlungsbedarf.
Haushalte mit einem Brutto-Haushaltseinkommen von 4000 bis 6000 Franken geben heute rund 25 Prozent davon für die Miete aus. Bei Haushalten mit einem Brutto-Haushaltseinkommen von weniger als 4000 Franken sind es sogar 35 Prozent. (Alle Angaben nach Watson).

Ziel der Initiative ist es, den Anteil an Wohnungen gemeinnütziger Bauträger schweizweit von derzeit ca. 5% auf 10% zu erhöhen. 10% ist die Zahl, die im Kanton Zürich heute tatsächlich erreicht ist. Mit anderen Worten: auf den Kanton Zürich hat die Initiative keine Auswirkungen. Trotzdem stimmen wir ab.

Viel von der Polemik gegen die Initiative (“Sozialismus!” – “Enteignung!” – “Tyrannei!”) kann ich nicht teilen. Ein gewisser Grundsockel von sozialem Wohnungsbau ist sinnvoll und moderiert die Marktkräfte, die nach wie vor den Löwenanteil des Immobiliengeschäfts beherrschen und gestalten. 10% halte ich grundsätzlich nicht für zu viel. Für die Stadt Zürich beträgt er eher 20%, und auch das halte ich nicht für schlecht.

Mein Problem ist eher: Sollte das nicht den Kantonen überlassen bleiben? Sind die Verhältnisse in der Stadt nicht anders zu bewerten als die auf dem Land? Mal wieder wird ein Problem gesehen, und dann nach dem Bund gerufen, wo es besser wäre, dies vor Ort zu entscheiden. Für Zürich bin ich dafür, den Anteil an Wohngenossenschaften eher aus- als abzubauen. Bei dieser Vorlage aber bin ich eher dagegen.

Abstimmung Schweiz: Diskriminierungsverbot

Zuletzt noch eine ganz einfache Frage: Soll die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung gleich behandelt werden wie die Diskriminierung aufgrund von Rasse (was immer das ist), Ethnie oder Religion? Natürlich ja. Was sonst?

Das einzige Argument der Gegner dieser Initiative ist, dass es bereits heute strafbar sei, Menschen öffentlich zu beleidigen oder herabzuwürdigen. Das Referendumskomitee fragt: “Wo bleiben die Sondergesetze für handicapierte, alte oder übergewichtige Menschen?”
Nun gibt es einen gesellschaftlichen Kontext, in dem Diskriminierung gegen Homosexuelle auch in unseren Tagen eine Realität ist. Lebten wir im Mittelalter, gäbe es vielleicht Gründe, Diskriminierung gegen Rothaarige in unsere Verfassung zu schreiben. Zum Glück sind die Tage der Hexenverfolgung wegen Rothaarigkeit vorbei. Also lassen wir das.
Aber eine Nachricht “Schweizer Bevölkerung lehnt Diskriminierungsverbot gegen Homosexuelle ab” wäre schon eine ziemliche Katastrophe, und deshalb hoffe ich sehr, dass diese Initiative mit klarer Mehrheit angenommen wird.

Schon wieder allerhöchste Eisenbahn

11 Monday Nov 2019

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1% Initiative, Abstimmungen, Forensisches Institut, Schulanlage Wollishofen, Sozialzentrum Röschibachstrasse


Wieder mal viel zu spät, aber weil ja weniger als 50% abstimmen, vielleicht noch eine ultimative Erinnerung: Heute in der Post oder Sonntag im Wahllokal.

Diesmal gibt es nur Stadt-Zürcher Abstimmungen. Und natürlich – vielleicht das Wichtigste – die Stichwahl zum Ständerat für den Kanton.

Weil ich mich in diesem Blog auf die Abstimmungen konzentriere, nur ein Link zu einem 20-Sekunden-Video mit meiner Wahlempfehlung. (Das Format kommt von den Facebook-“Stories”, bei denen man maximal 20 Sekunden lange Videos hochladen kann, und ich es als sportliche Herausforderung angenommen habe, ob es gelingt, in 20 Sekunden einen Gedanken – nicht nur eine Gefühlsaufwallung – zum Ausdruck zu bringen.)

Aber jetzt zu den Abstimmungen.

1. 1% gegen die globale Armut

Wer erinnert sich noch an die Hornkuh-Initiative? Ich fand das damals schon beeindruckend: Wie irgendwer, der einfach erfüllt ist von seiner Idee, es mit genügend Energie und Ausdauer bis hin zu einem Volksentscheid bringen kann. Jetzt also die Effektiven Altruisten. Sicher besser als ineffektive Altruisten, aber sie wirken auf mich schon ein wenig sektenhaft. Vielleicht täusche ich mich ja. Jedenfalls wollen sie, dass wir alle uns altruistisch verhalten, 1% spenden, und das nach der RCT Methode effektiv machen (die Methode ist in der medizinischen Forschung anerkannt,, aber es ist nicht ganz klar, wie man alle Spenden mit randomisierten Exemplaren testen kann).

Jedenfalls ist das ganze mal wieder so entwaffnend und von hoher Gesinnung getragen, dass – ausser den hartgesottenen Gutmenschen-Verächtern von der SVP (und mit einer etwas gewundenen Begründung auch der FDP) – sich niemand traut, “nein” zu sagen. Stattdessen wird’s per Gegenvorschlag so runtergekocht, dass es einigermassen schmerzfrei ist.
Da mag ich mich auch nicht verweigern, und sage: meinetwegen. Dabei hat die FDP nicht unrecht: Bei Spenden in Millionenhöhe, um die es hier geht, ist eine sorgfältige Prüfung, ob das Geld in die richtigen Hände fällt und wirklich Nutzen stiftet, unumgänglich, und dazu hat der Bund die Institutionen und Ressourcen, weshalb es in jedem Fall nötig ist, dass das durch den Bund verwaltet wird; auch wenn das Geld aus dem städtischen Budget kommt.

2. Sozialzentrum Röschibachstrasse

Die Angelegenheit ist sachlich unumstritten. Bei der Abstimmung geht es ums Geld. Die Stadt hat 2014 einen Gebäudekomplex an der Röschibachstrasse gekauft (gleich hinter dem Coop Wipkingen). Im Moment ist da unter anderem “Think Tank Foraus” eingemietet. Jetzt will die Stadt Arbeitsplätze, die zur Zeit zwei Häuser weiter angemietet sind, in diesem Gebäude konzentrieren. Das Verblüffende ist der Preis für die Sanierung: für 200 Arbeitsplätze, die neu an dem geplanten Standort bereitgestellt werden, entstehen 31 Millionen Sanierungskosten (nach dem Kaufpreis von 34 Mio). Das sind insgesamt SFr 325’000 pro Arbeitsplatz. Ich kenne Kalkulationen, bei denen eine Büromiete von 3600 SFr pro Jahr pro Arbeitsplatz gerechnet wird. Demnach wären hier knapp hundert Jahre Miete vorab gezahlt (nicht gerechnet die veranschlagten 3,3 Mio Franken jährliche Folgekosten).
Bei aller Liebe zu meiner Stadt: Wäre es nicht sinnvoller, die Stadt würde für 3600 SFr pro Jahr und Arbeitsplatz (oder meinetwegen das Doppelte) Arbeitsplätze anmieten und wäre dann ganz flexibel? Ich kann die Kosten hier wirklich nicht nachvollziehen und lehne deshalb die Vorlage ab.

3. Schulanlage in Wollishofen

Das scheint völlig unproblematisch. Klar.

4. Forensisches Institut

Ich gestehe, dass ich mich in dieses Thema nicht eingearbeitet habe. Es geht darum, zwei Abteilungen (von Kanton und Stadt), die bereits zusammengelegt sind, jetzt auch rechtlich zusammenzuführen. Was da die beste Rechtsform ist, mögen die Experten entscheiden.
Ich möchte das nicht aufhalten. Insbesondere habe ich versucht, die Argumente der Gegner – der SVP – zu verstehen, und bin daran gescheitert. (Oben: Leseprobe aus der SVP Stellungnahme im Abstimm-Heft der Stadt). Also: im Angesicht meiner geringen Kenntnis der Details: Dafür.

Unternehmenssteuer und Waffen

26 Friday Apr 2019

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Abstimmungen, AHV, Schengen, STAF, Unternehmenssteuer, Waffenrichtlinie

Am 19. Mai ist es wieder so weit: Die Schweiz stimmt ab. Die geplante Umsetzung der EU-Waffenrichtline beherrscht die öffentliche Debatte haushoch, obwohl wahrscheinlich die Abstimmung über Unternehmenssteuer und AHV (STAF) die folgenreichere sein wird. Auch scheint, dass bei der Waffen-Frage die Meinungen weitgehend “gemacht” sind, und es nur noch darum geht, wer besser mobilisieren kann. In der Steuer- und Rentenfrage sind viele noch unentschlossen und ratlos. Im Einzelnen.

Bundesgesetz über die Steuerreform und die AHV-Finanzierung (STAF)

Zu AHV haben wir am 17. 03. 2017 das letzte Mal abgestimmt. Ich war mit Bauchschmerzen “eher dafür”. (Meinen Senf dazu habe ich hier abgegeben.) Damals, 2017, wurde vorgeschlagen: Rentenalter rauf (für Frauen ein Jahr), Umwandlungssatz runter (entspricht 12% Rentenkürzung), dafür Mehrwertsteuer rauf (von 8% auf 8,3%). Als Trostpflaster die AHV um 70 Franken monatlich rauf. Ausserdem darf man, wenn man will, 15 Jahre länger arbeiten, und wenn man vorher den Job verliert, wird man nicht automatisch von der Rentenkasse vor die Tür gesetzt.

Dieser Vorschlag wurde mit 52.7% abgelehnt.

Zur Unternehmenssteuer gab es am 12. 02. 2017 die letzte Abstimmung. Ich war “eher dagegen”. (Mein Kommentar dazu hier.) Vorgeschlagen wurde 2017 ein Konvolut von 12 einzelnen Massnahmen, die in verschiedener Weise vom Bund und den Kantonen angewandt werden (können), und – da war ich nicht der Einzige – schwer zu durchschauen, noch schwerer quantitativ abzuschätzen waren.

Auch dieser Vorschlag wurde abgelehnt – mit 59.1%.

Weil aber die Zeit läuft, der internationale Druck auf die Schweiz wegen unfairer Steuervorteile für international tätige Unternehmen wächst, und das Leck in der AHV auch nicht kleiner wird, versuchen es Bundesrat und Parlament jetzt nochmal. Diesmal kommen beide Themen im Kombi-Pack.

Dabei wird im Abstimmungsheft etwas neblig davon gesprochen, das Ziel der Reform sei, dass die Schweiz zukünftig “neuen internationalen Anforderungen entspricht und wettbewerbsfähig bleibt”. Vielleicht um nicht auch in dieser Frage die Pawlow’schen Anti-EU-Reflexe bestimmter Kreise zu wecken, wird nicht erwähnt, dass ganz konkret die EU die Schweiz am 05.12.2017 auf eine “graue Liste” von Ländern gesetzt hat, welche sich zwar verpflichtet haben, den OECD Richtlinien zu folgen, dem aber keine Taten folgen liessen.
Der nächste Schritt – von der “grauen” auf die “schwarze” Liste – zeichnet sich ab. Es besteht also dringender Handlungsbedarf.

Gar kein dringender Handlungsbedarf besteht übrigens beim Thema AHV. Es ist nämlich so – das wird auch im Abstimmungsheft beschrieben – dass bereits im Sommer 2019 ein umfassendes AHV-Reformpaket geplant ist, und was auch immer am 19. Mai beschlossen wird, nur den Charakter einer teilweisen Vorwegnahme dieser Reform hat, gleichsam ein “Zückerli”, das schon mal verkostet werden kann. Und wenn die jetzige Vorlage abgelehnt wird, na ja, dann wird die Sache im AHV 21 Paket eben mit behandelt.

Für Annahme oder Ablehnung der STAF Vorlage sollte man deshalb ausschliesslich auf den Unternehmenssteuer-Teil schauen. Dass diese beiden Themen in der Vorlage kombiniert wurden, ist ein verfassungsmässig zweifelhafter Trick, und ich kann Leute verstehen, die die Vorlage schon aus diesem Grund ablehnen.

Im Vergleich mit der Vorlage von 2017 halte ich den Vorschlag zur Unternehmenssteuerreform aber für etwas klarer. Sicher entspricht er nicht vollkommen meinen Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit. Die beiden grössten Einwände, die ich habe, sind der Komplex der “Patent-Boxen” (eine Unsitte, die sich in einigen Ländern eingenistet hat, und bei der die Schweiz glaubt, nicht abseits stehen zu dürfen) und das Anfeuern des kantonalen Steuer-Wettbewerbs nach unten, was aber für die Schweiz systemkonform und nicht völlig zu verhindern ist.

In Übrigen glaube ich, dass die Abschaffung der “harmful tax regimes”, und dafür zu sorgen, dass die Schweiz von “grauen” und “schwarzen” Listen internationaler Steuer-Übeltäter gestrichen wird, diese Gesetzesänderung rechtfertigt und werde – mit den üblichen Vorbehalten – dafür stimmen.

Umsetzung der EU-Waffenrichtlinie im Schweizer Waffenrecht

Die Schweiz hat mit einer Volksabstimmung 2005 beschlossen, sich als “assoziierter Staat” dem Schengenraum anzuschliessen, dessen Zweck einerseits Reisefreiheit, andererseits Sicherheit ist. Jetzt wurde die Waffenrichtlinie zur besseren Bekämpfung von Waffenmissbrauch überarbeitet, und es wird erwartet, dass alle beteiligten Länder diese auch umsetzen, so auch die Schweiz. Ganz gut zusammengefasst wird die Situation vom Beobachter.

Die Meinungen in dieser Frage – auch meine – sind weitgehend “gemacht”. Die Argumente wurden des Langen und Breiten vorgetragen. Deshalb spare ich mir das hier. Nur 1% der Befragten weiss noch nicht, wie abzustimmen. Es geht wohl nur noch darum, welche Seite besser mobilisieren kann.

Mir fällt aber auf, dass dieselben Leute, die jahrelang gegen die Mitgliedschaft in Schengen polemisiert haben, jetzt unter der Parole Schengen ja, Entwaffnung nein auftreten. Und es ist schon ziemlich hanebüchen, wenn sie vorbringen: “Schengen ist nicht in Gefahr | Nein zum Entwaffnungsdiktat der EU!” – und nicht mal den eklatanten Widerspruch in ihrer Parole bemerken: Wenn’s ein Diktat ist, wie kann dann die Mitgliedschaft in Schengen nicht in Gefahr sein? Dann wär’s kein Diktat sondern nur ein netter Vorschlag. Wenns andersherum ein Diktat wäre, müsste man doch den Austritt aus Schengen fordern. Ich denke, die nehmen ihre eigenen Sprüche nicht ernst.

Sie meinen: “Nichts wie raus aus Schengen”, und sagen: Wird schon nichts passieren, wenn wir ein bisschen zündeln. Sie schlagen den Sack (Waffenrecht) und meinen den Esel (die EU). Und die Abstimmung geht überhaupt nicht um das Waffenrecht, sondern darum, mal wieder einen Vorwand zu finden, die Schweiz von Europa abzukoppeln.

Schon deshalb stimme ich nicht nur der geänderten Waffenrichtlinie zu, sondern unterstütze auch Operation Libero in ihrem Einsatz dafür. Und weil es diesmal mehr um Mobilisieren als um Überzeugen geht: Fühlt euch mobilisiert!

 
 

Wohnsiedlung Leutschenbach, Wasserschutzpolizei, Schulanlage Freilager

Dann gibt’s in Zürich noch drei lokale Bauvorhaben abzustimmen. Die erste Abstimmung entsprechend den üblichen links-rechts Frontlinien, die zweite einstimmig, die dritte – jaaa, interessant.

1. Neue kommunale Wohnsiedlung Leutschenbach

Die Stadt will in der Nähe des Hallenstadions in Oerlikeon 369 sozialverträgliche Wohnungen bauen und dafür 210 Millionen ausgeben. FDP und SVP sind gegen das konkrete Bauvorhaben. Die FDP, weil die Stadt, statt selber zu bauen, das Projekt an Private hätte vergeben sollen; die SVP lehnt die Verschuldung ab und verurteilt “ein von den Steuerzahlenden finanziertes Zuhause mit vielen Extras” – zum Beispiel Kindergärten und Kinderbetreuungsräumen. Auch das “Zuwanderungsregime” der Schweiz ganz generell wird als Argument gegen das Bauvorhaben aufgeführt.
Ich weiss nicht, ob man an dem einen oder anderen hätte sparen können, aber mir scheint der vorgelegte Entwurf plausibel und zustimmungsfähig.

2. Wasserschutzpolizei Enge

Bei diesem vom Gemeinderat mit 113:0 befürworteten Vorhaben gibt’s gar niemanden, der was dagegen sagen will, also auch ich nicht, denn Wasserschutz ist die sympathischste Polizei.

3. Neubau Schulanlage Freilager

Jaaa, in Albisrieden soll ein neues Schulgebäude errichtet werden, und zunächst sieht es so aus, als sei auch das eine ganz unstrittige Sache; der Gemeinderat hat sich 100:10 dafür entschieden, und auch im Abstimmungsheft fehlt ein Nein-Votum.

Dann scheint es aber den Grünen gedämmert zu haben, dass das geplante Gebäude zu klein dimensioniert ist, und schon jetzt Erweiterungspavillons eingeplant werden müssen. Mir scheinen die Argumente der Grünen einigermassen plausibel. Nur: Hätte euch das nicht früher einfallen müssen? Wenn ich zum jetzigen Zeitpunkt, und ohne dass eine klare Alternative (ein grösseres Projekt) im Raum steht, “nein” einlege, heisst das doch eher, dass ich gegen den Schulbau bin, als dass ich ihn grösser haben will.

Also unabhängig davon, ob die Grünen hier einen Punkt haben, muss ich sagen: so was gehört im Vorfeld vorgetragen, und nicht auf den letzten Metern der Abstimmung. Also werde ich dem Neubau zustimmen.

Emil und die Sozialdetektive

09 Friday Nov 2018

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Abstimmungen, Hardturmareal, Hornkuh-Initiative, Sozialdetektive

Vier Entscheidungen stehen am 25.11. an: drei eidgenössische und eine (hautnahe) städtische. Selten war ich gleich von mehreren Vorlagen so hin- und hergerissen wie diesmal. Nur bei einer gibt es von mir ein hundertprozentiges “Nein”.

Die “Selbstbestimmungsinitiative”

gauge5 Warum ich sie ablehne, habe ich bereits im letzten Beitrag ausführlich begründet und muss es hier nicht wiederholen.

Obwohl ich die Initiative samt ihrer weichgespülten Kampagne für eine Falle halte, empfehle ich, auf den Stimmzettel nur ein nüchternes “Nein” einzutragen. Hier, wie man’s nicht machen sollte (auch wenn’s wahr ist):
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Nun zu den Entscheidungen, wie mir schwerer fallen, weil es dafür und dagegen gute Argumente gibt.

Die Hornkuh-Initiative

hajoHorn.png“Das ist den Viechern doch egal, ob sie mit oder ohne Hörner herumlaufen.” – Wirklich?

Erst habe ich gedacht: So ein Blödsinn. Bei näherem Nachdenken stellt sich die Sache so dar:

  1. “Das ist doch reine Symbolpolitik” – Stimmt. Massentierhaltung ordnet immer die Bedürfnisse der Tiere an artgerechter Entfaltung wirtschaftlichen Interessen unter. Anbinden, ruhigstellen, aufmästen, transportieren, schlachten, alles so kostengünstig wie möglich. Die fehlenden Hörner sind zwar nicht schön, auch widersprechen sie der nostalgischen Darstellung von glücklichen Kühen in Werbung und Touristenprospekten (und haben deshalb für die Schweiz hohe symbolische Bedeutung), sind aber vielleicht für die armen Tiere das kleinste Problem.
  2. “Das hat doch in der Verfassung nichts zu suchen” – Stimmt. Es handelt sich um ein Detail im Zusammenhang von artgerechter Tierhaltung und gehört in eine Richtlinie für die Vergabe von Födergeldern, und nicht in eine Verfassung. Sonst müssen wir als nächstes das Kastrieren von Ferkeln, Schneiden von Schwänzen, Meucheln männlicher Küken und tausend andere Praktiken explizit in die Verfassung aufnehmen. Das Schächtverbot hat ja in der Schweiz schon eine lange zweifelhafte Geschichte, die bis ins Jahr 1894 zurückreicht. Froschschenkel und Stopfleber fehlen noch.
  3. “Was soll der arme Mann denn anderes machen?” – Und das ist der Punkt. Da findet ein Landwirt, Armin Capaul, dass es nicht in Ordnung ist, wenn den Rindern ihre gesunden Hörner amputiert werden, und es keinen stört, und er rennt sich die Hacken ab, um eine Änderung zu erreichen, stösst aber überall auf Unverständnis, bis ihm jemand sagt: “Mach doch eine Initiative”. In der Schweiz kann man solche Initiativen eben nur als Verfassungsinitiative starten. Und so kommt es jetzt “vors Volk”. Meine Sympathie gilt hier dem Eigenbrötler, und einem direkt-demokratischen System, das so etwas möglich macht (ob mit oder ohne Unterstützung durch den einen oder anderen Spinner).
  4. gauge2“Das könnte sogar einen gegenteiligen Effekt haben” – Ja, könnte. Die Initiative legt nicht im einzelnen fest, wie sie umgesetzt werden soll, und – zugegeben – wenn sie blöd umgesetzt wird, könnte sie nachteilige Effekte haben, etwa dass sie die Viehzüchter animiert, ihre Rinder wieder mehr anzubinden. Könnte. Aber niemand zwingt Parlament und Regierung, die Initiative blöd umzusetzen. Und in Zeiten, wo die SVP alle in den Wahnsinn treibt mit ihrer Forderung, ihre zahllosen unsinnigen Initiativen blind und bedingungslos umzusetzen, finde ich die Perspektive erfreulich, dass hier Profis herausgefordert sind, eine nicht-blöde Umsetzung zum Wohle der Tiere hinzubekommen.

Sozialdetektive

Auch hier bin ich hin- und hergerissen. Während einer kontroversen Debatte um dieses Thema stiegen vor meinem geistigen Auge Szenen aus “Die Schweizermacher” auf, wo der Drang, in die intimsten Verhältnisse der Zielpersonen einzudringen, fast als Zug des schweizer Nationalcharakters gezeichnet wurde. Hat sich in 40 Jahren nix geändert, gell?
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Walo Lüönd im Film “Die Schweizermacher” (1978) mit Emil Steinberger

Aber im Ernst. Die IV Rente beträgt in der Schweiz maximal 2350 Franken pro Monat (siehe z.B. hier). Dazu kommen gegebenenfalls Kinderzulagen und Ergänzungsleistungen. Wirklich reich wird davon erst mal niemand.

Um an dieses Geld zu kommen, muss man strenge Bedingungen erfüllen, die auch regelmässig alle 2-3 Jahre überprüft werden, und wenn man am unteren Ende der Einkommens-Skala lebt, mag es im Einzelfall verlockend sein, dieses (Zusatz-)Einkommen einzuheimsen, auch wenn’s einem nicht zusteht.

Nun kann man über die Voraussetzungen streiten, die für den Bezug von Sozialhilfe gesetzt sind. Aber klar ist: Wenn solche Regeln bestehen, dann muss der Staat auch ihre Einhaltung einfordern und überprüfen. Andernfalls sind – wie so oft – die ehrlichen die Dummen und am Schluss hält sich niemand mehr an Regeln. Insofern ist auch gegen eine Observierung verdächtiger Einzelfälle nichts einzuwenden.

In weiten Kreisen wird es ja sowieso als Sport oder Kavaliersdelikt empfunden, den Staat um Geld zu prellen. Viele machen aber einen klaren Unterschied, ob sie einerseits dem Staat Steuern vorenthalten (da ist der Staat der Dieb, und es ist toll, ihm ein Schnäppchen zu schlagen), oder andererseits Staatsknete – oder gar Sozialhilfe – abzocken. Dann sind sie Sozialschmarotzer.

beobachter150217Nur sollte man die Kirche im Dorf lassen. Der Beobachter hat am 7. Feb 2015 mal gegenübergestellt, wieviel ein zusätzlicher Steuerfahnder “erwirtschaftet”, und wie viel ein Sozialinspektor (siehe Kasten). Das Ergebnis ist klar: Allein durch straflose Selbstanzeigen sind seit 2010 7 Milliarden Franken an Vermögen zum Vorschein gekommen und wurden Bund, Kanton und Zürcher Gemeinden 600 Millionen an Nachsteuern bezahlt, während die Zürcher Sozialfahnder gerade mal ihre eigenen Kosten wieder hereinholen.

gauge4Das entscheidende Argument ist für mich aber die Vermischung der Rollen. Ein im Auftrag des geschädigten (der Sozialversicherung) arbeitende privater Detektiv ist klar einseitig ökonomisch motiviert und wird – trotz aller Dementis – letztlich nach Fangprämien bewertet.
Sozialversicherungsbetrug ist ein Kriminaldelikt und sollte von Ermittlern aufgeklärt werden, die klar im Interesse der Öffentlichkeit arbeiten. Eine eigene Privatpolizei halte ich für problematisch, wird ja auch in anderen Bereichen nicht gemacht, und ist in diesem Fall dem Ressentiment gegen Sozialhilfebezüger geschuldet. Aber gegen “Sozialschmarotzer” lässt sich halt immer gut zu Felde ziehen.

Hardturm-Areal

Und nochmal eine schwierige Entscheidung: Das Projekt “Ensemble”. Ein Fussballstadion und zwei Wohntürme. Direkt vor unserer Nase.
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Noch ist dies der Blick aus unserer Wohnung.
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Und so könnte es in einigen Jahren aussehen.

Zunächst war ich für dieses Projekt. Mir fehlt zwar das Fussball-Gen, aber sollen die Fans doch ihren Spass haben. Auch finde ich grundsätzlich eine urbane Verdichtung, auch in die Höhe, sinnvoll für die wachsende Stadt Zürich. Im Sinne der Entwicklung unseres Quartiers müssen wir auch für Kompromisse offen sein, und ein Kompromiss ist so ein Projekt allemal. Und ich hoffte auf ein schickes Einkaufszentrum in Laufentfernung über die Limmat.

oxygen Wenn ich aber pro und contra bilanziere, kommt weder für mich direkt, noch für die Stadt genügend Gutes dabei heraus.
Es wird kein Einkaufszentrum geben, allenfalls “Kleinläden und Gastronomiebetriebe” für die Fussballfans.
Am meisten bin ich enttäuscht von der vollkommen uninspirierten Architektur der beiden geplanten Wohntürme. Quader, die nichts ausstrahlen als die Botschaft: “Wir sind jetzt hier und ihr habt mit uns klarzukommen”. Zukunftsorientierte moderne, ökologisch inspirierte Architektur gibt es schon viele (abgebildet der Oxygen Eco Tower in Jakarta). gauge4 Wenn man bedenkt, dass die “Ensemble”-Gebäude noch in Jahrzehnten da sein werden, glaube ich, dass man bei ihrem Anblick schon bald von den Bausünden der zwanziger Jahre sprechen wird. Zürich – Stadt mit höchster Lebensqualität und höchsten Ansprüchen an sich selbst – hat etwas besseres verdient.

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Sirenenklänge der SVP

24 Wednesday Oct 2018

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Abstimmungen, Selbstbestimmungsinitiative, Souveränität

Lieblich klingen die Töne der SVP diesmal. Direkte Demokratie. Selbstbestimmung. Wer mag da “nein” sagen? Aber schon Odysseus wusste, dass die einschmeichelnden Gesänge der Sirenen Gefahr bedeuten. chagall-sirenen
Die Debatte um die “Selbstbestimmungsinitiative” füllt viele Zeitungsspalten; ungewöhnlich früh haben sich viele bereits eine Meinung gebildet, und doch erscheint die Debatte um diese merkwürdige Initiative ziemlich unübersichtlich.
Dabei gehen mehrere Ebenen durcheinander, die ich versuche, hier zu trennen.

Die juristische Ebene

Die Verworrenheit der Diskussion über die “Selbstbestimmungsinitiative” hat auch damit zu tun, dass es unmöglich scheint, Klarheit über ihre praktischen Folgen zu gewinnen. Bedeutet sie, dass bereits geschlossene Verträge vom Bundesrat automatisch einseitig gebrochen ( = nicht angewandt) werden, wenn eine Mehrheit in einer Abstimmung etwas beschliesst, das sich mit ihnen nicht vereinbaren lässt? Bedeutet sie, dass die Menschenrechte keine Anwendung mehr haben auf die Schweiz? Bedeutet sie das alles nicht, und vielleicht überhaupt nichts?
Leichter als die konkreten Folgen der Initiative dingfest zu machen, scheint es, einen Pudding an die Wand zu nageln. Das hängt auch damit zusammen, dass die Initianten immer mal wieder die Argumentation wechseln, mal den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als “fremde Richter” denunzieren, mal nicht. Schön fand ich, wie nach einer langen Diskussion im Fernsehen der Moderator das Publikum mit einer Entschuldigung verabschiedete, dass die konkreten rechtlichen Folgen auch in dieser Sendung nicht wirklich klar geworden seien.

Nun wäre die Tatsache, dass niemand mir sagen kann, was die Annahme für konkrete Folgen haben würde, Grund genug, sie abzulehnen. Es bedeutet aber auch, dass es den Initianten um die konkreten Folgen gar nicht geht. Denn wenn es so wäre, wie die Initianten sagen, dass es nämlich in der Schweiz keine Selbstbestimmung mehr gibt, und deshalb dringender Handlungsbedarf besteht, weil die Eliten, bestehend aus Richtern und Abgeordneten, entschieden haben, beschlossene Initiativen nicht umzusetzen, sofern sie in Widerspruch mit internationalen Abmachungen stehen, warum sollen dieselben Richter und Abgeordneten nicht genau so mit dieser “Selbstbestimmungsinitiative” verfahren: sie als Verfassungslyrik zu den Akten legen und auf ihre Umsetzung verzichten?
Ich habe diese Frage auf Facebook gepostet und eine erhellende Antwort eines Anhängers der Initiative bekommen: “Sie haben Recht, mit der SBI kann im Prinzip gleich verfahren werden wie mit den früheren Initiativen. Wird die SBI angenommen, erzeugt das aber mehr Druck etwas in Richtung Selbstbestimmung zu tun.” – Es geht also nicht darum, praktisch etwas zu verändern, sondern ein Statement abzugeben.

Die ideologische Ebene

Das führt zur prinzipiellen, ideologischen Seite der Sache. Der Schlachtruf der SVP ist seit langem die Souveränität. “Was heisst eigentlich Souveränität? Souveränität heisst ganz einfach Unabhängigkeit vom Einfluss anderer Staaten. So steht es im Duden.” (Ueli Maurer 2014).
Dieser so absolut gesetzte Souveränitätsbegriff knüpft daran an, wie er ursprünglich im 16. Jahrhundert durch die Absolutismuslehre des französischen Staatsphilosophen Jean Bodin definiert wurde. Nach Bodins Konzeption der absoluten Herrschaft sollte diese Befugnis stets nur der Person des Königs zukommen, prinzipiell unteilbar sein und es dem Herrscher ermöglichen, Recht auch gegen den Willen der Untertanen verbindlich setzen zu können. Nur dass im Verständnis der SVP statt dem absolut herrschenden Monarchen jetzt das direkt abstimmende Volk die unteilbare Souveränität ausübt.

bannonMit dieser Auffassung ist die SVP beileibe nicht allein. Die ganze von Steve Bannon angestrebte “nationalistische Internationale” hat dies als zentrale Botschaft. “Take our country back”, “America first”, ebenso wie das, was die jetzige Regierung in Italien rund um den Haushalt veranstaltet: Alle vertreten die Auffassung, dass nichts den absolutistisch gedachten nationalen Volkssouverän hindern kann, zu machen, wie es ihm beliebt.

Damit werden drei Abhängigkeiten bewusst negiert:

  • Die individuellen Freiheitsrechte, die nach Natur der Dinge immer gegen die Mächtigen (und gegebenenfalls gegen die Mehrheit) durchgesetzt werden müssen, und wenn sie nicht rein esoterisches Gesäusel bleiben sollen, sondern einklagbares individuelles Recht, ein Gericht brauchen, das unabhängig ist von der Willkür des Souveräns. Dem entspricht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, den man gegen seine eigene Regierung anrufen kann. Dem entspricht auch die 2005 von der UNO beschlossene “Schutzverantwortung”, welche Souveränität definiert als Verantwortung (sovereignty as responsibility), wonach ein Staat Verantwortung für den Schutz seiner Bevölkerung übernehmen muss, um als souverän zu gelten, und davon abgeleitet der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag. Alles nicht perfekt, aber grundsätzlich ein Gegengewicht zur Untertanen-Hörigkeit, die in Bodins Definition von Souveränität enthalten ist.
  • Die Gewaltenteilung, die bei der Herausbildung der Demokratie eine entscheidende Rolle spielt. Diese ist der SVP ein Dorn im Auge, und sie sieht Richter, Regierung und Abgeordnete nicht als unabhängige Gewalten, sondern als Ausführungsorgane des absoluten Souveräns, des Volkes, das sich nicht durch Wahlen, sondern ausschliesslich durch Abstimmungen authentisch äussert. Und wenn diese Organe auf ihrer Unabhängigkeit bestehen, sie als “Eliten” diffamiert; dies vollkommen im Einklang mit den Bestreben etwa in Polen, Ungarn, der Türkei, unabhängige Gerichte abzuschaffen und Rechtsprechung zur dienenden Tätigkeit auf Anweisung der Hohenpriester des Volkswillens zu machen.
  • Die föderale Struktur, die gerade für die Schweiz von grundlegender Bedeutung ist. Wenn ich die Verfassung des Kantons Zürich aufschlage, dann steht da in Absatz 1, Satz 1: Der Kanton Zürich ist ein souveräner Stand der Schweizerischen Eidgenossenschaft.. Wie soll das gehen? Wenn ich hier den absoluten Souveränitätsbegriff der Selbstbestimmungsinitiative zugrunde legte, müsste der Kanton Zürich sofort gegen die Schweiz zu Felde ziehen, denn seine Souveränität wäre aufs gröbste verletzt. Ist sie aber nicht, denn sie bedeutet eben nicht, dass der Kanton Zürich jederzeit machen kann, wonach der Mehrheit gerade der Kopf steht, sondern dass der Kanton freiwillig Teil der Schweiz ist, und diese Entscheidung auch grundsätzlich, und im extremen Fall widerrufen kann. Was wiederum für die Schweiz als Bundesstaat bedeutet, dass sie nicht einfach über die kantonalen Belange hinweggehen kann, insofern ihre Souveränität auch nach innen begrenzt ist.

Jedenfalls steht der absolutierte Souveränitatsgedanke, der internationale Verpflichtungen ins Visier nimmt und nebenbei Freiheitsrechte, Gewaltenteilung und Föderalismus platt macht, wohl im Einklang mit der weltweiten nationalistischen Renaissance, nicht aber mit einer Schweiz, die allen Grund hat, auf ihre demokratischen Traditionen stolz zu sein.

Die strategische Ebene

Mir scheint klar, dass es den Initianten darum geht, die ihrer Meinung nach unzureichend umgesetzten SVP-Initiativen (Masseneinwanderung, Ausschaffung) noch nachträglich zu erzwingen. Da die Mehrheit ihre “Durchsetzungsinitiative” abgelehnt hat (vielleicht weniger aus Menschenliebe gegenüber den Auszuschaffenden, als deshalb, weil der Eingriff in die Balance der bewährten Institutionen nicht gewollt war) versuchen sie es jetzt mit einer weichgespülten Kampagne, in der der Name SVP nicht einmal auftaucht. Sirenengesänge eben.
Aber auch dafür gibt es ein Vorbild. Die SVP hat von Angela Merkel gelernt und fährt eine Strategie der “asymmetrischen Demobilisierung”, die lautet: Sprich so, dass die Leute, die auf deiner Wellenlänge sind, die Wichtigkeit erkennen, aber die Leute, die nicht auf deiner Wellenlänge sind, diese eben nicht erkennen.
Denn es ist weniger wahrscheinlich, dass jenseits der SVP-Anhänger viele für die Initiative stimmen, als dass viele Nicht-SVP-Anhänger der Abstimmung fernbleiben.
Das wäre schade.

Was ist fair? Was ist gerecht?

08 Saturday Sep 2018

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Abstimmungen, Ernährungssouveränität, fair food, Filmförderung, Limmattalbahn, Velowege, Wildhüter


Es ist wieder soweit. Die Abstimm-Unterlagen sind vor Tagen eingetroffen. Wie drei von vier Schweizern werde ich per Briefwahl abstimmen. Dann für ein paar Tage ab in die Westschweiz, Rest-Sommer geniessen. Die meisten Fragen sind nicht schwer zu beantworten, aber bei einer blutet mir das Herz.

Entscheidungen auf Bundesebene

Velowege

Bereits am 1. März 2016 überreichte eine Gruppe um Pro Velo Schweiz der Bundeskanzlei 105’234 Unterschriften für eine Initiative, die nur aus drei Sätzen bestand:
“Der Bund legt Grundsätze über Fuss- und Wanderwegnetze und über Netze für den Alltags- und Freizeit-Veloverkehr fest. Er fördert und koordiniert Massnahmen der Kantone und Dritter zur Anlage und Erhaltung attraktiver und sicherer Netze und zur Kommunikation über diese; dabei wahrt er die Zuständigkeiten der Kantone. Er nimmt bei der Erfüllung seiner Aufgaben Rücksicht auf solche Netze. Muss er dazugehörende Wege aufheben, so ersetzt er sie.”

Dieser Text war dem Bundesrat viel zu radikal, und am 17. August 2016 setzte er folgenden Gegenentwurf dagegen:
“Der Bund legt Grundsätze über Fuss- und Wanderwegnetze sowie über Netze für den Alltags- und Freizeitveloverkehr fest. Er kann Massnahmen der Kantone und Dritter zur Anlage und Erhaltung attraktiver und sicherer Netze sowie zur Information über diese unterstützen und koordinieren. Er nimmt bei der Erfüllung seiner Aufgaben Rücksicht auf solche Netze. Muss er dazugehörende Wege aufheben, so ersetzt er sie.”

Wer sieht den Unterschied? Die Initianten jedenfalls kaum, und so zogen sie ihre Initiative zurück, und deshalb stimmen wir ausschliesslich über den Gegenentwurf ab. Der Bund kann Massnahmen koordinieren. Er kann’s aber auch bleiben lassen.

Wer kann da schon dagegen sein? Ich sicher nicht, wenn ich auch glaube, dass die Initiative die eigentlichen Probleme kaum lösen wird. Die Initiative zielt vor allem darauf ab, ein dem Wanderweg-Netz entsprechendes schweizweites Netz von Velowegen zu fördern. Woran es aber wirklich hapert, das sind die kurzen Velowege in der Stadt. Nichts gegen Velotouren über Land. Aber die Unterstützung von Menschen, die mit dem Velo zur Arbeit fahren wollen – die ist in der Schweiz ziemlich schlecht. Velo fahren in Zürich ist echt gefährlich. Das kann nur lokal behoben werden. Deshalb: Ja zur Initiative und nächstes Thema.

Fair Food Initiative

Die Entscheidung dieser Frage fällt mir wirklich schwer, und deshalb kommt dieser Blog auch später als geplant. Ich habe lange mit mir gerungen.
Ja, auch ich bin “für gesunde sowie umweltfreundlich und fair hergestellte Lebensmittel”. Aber der Knackpunkt der Initiative liegt woanders.

Der Abstimmungstext besteht aus fünf Einzelbestimmungen.

  1. Der Bund stärkt das Angebot an Lebensmitteln, die von guter Qualität usw. sind. (Punkt 4 führt dann die Instrumente an, mit denen er das bewirken kann) – Ich befürworte eine solche Zielsetzung, bin aber unschlüssig, ob sie allein eine solche Initiative trägt.
  2. – und das ist der Knackpunkt an der Sache – Der Bund stellt sicher, dass eingeführte landwirtschaftliche Erzeugnisse, die als Lebensmittel verwendet werden, grundsätzlich mindestens den Anforderungen nach 1. genügen. Dazu gleich mehr.
  3. Der Bund sorgt dafür, dass die negativen Auswirkungen des Transports und der Lagerung auf Umwelt und Klima reduziert werden. Geschenkt
  4. Dieser Passus legt wie gesagt die Instrumente fest, wie Zulassung, Zölle, usw.
  5. Der Bundesrat soll regelmässig über den Erfolg dieser Massnahmen berichten und ggf. Massnahmen ergreifen. Meinetwegen.

Die ganze Auseinandersetzung dreht sich um Punkt 2, der auch als einziger (“stellt sicher”, “grundsätzlich mindestens”) wenig Umsetzungsspielraum lässt. Mit diesem Punkt habe ich erhebliche Probleme, abgesehen davon, dass ich Anhänger der These bin, dass sich jeder zugrunde richten darf, wie er oder sie will, gesund oder ungesund (die Meinungen diesbezüglich ändern sich ja auch ab und zu).

Erstens tut der Antrag so, als sei die in jeder Hinsicht vorbildliche Schweiz umlagert von Ländern mit schlechteren Standards, vor denen sie sich schützen muss. Zugegeben, einige Vorschriften in der Schweiz sind strenger als in der EU (Zum Beispiel Stallfläche pro Schwein: CH: 0.9 m2, EU: 0.75 m2). Das ist aber nur eine Seite der Medallie. Der grösste Lebensmittelhersteller der Welt beispielsweise, Nestlé, dessen 2000 Marken (Liste hier) quer über den Globus hergestellt und vertrieben werden, hält sich mitnichten überall an Schweizer Standards. Wär auch schön blöd. Und da die Wertschöpfungskette eines solchen Konzerns munter Grenzen überschreitet, dürften auch solche Produkte nicht in die Schweiz (re-)importiert werden?
Nummer zwei in der Schweiz ist Aryzta (sie stellen u.a. die pappigen McDonalds Burger Buns her). Selbe Situation: Produktion weltweit, Schweizer Firma: ja, Schweizer Fair Food Standards: ha ha.
Dann kommt schon Emmi (das klingt schon mal Schweizerisch) mit Produktion in Italien (Trentinalatte), Deutschland (Onken), USA (Cowgirl Creamery), für die dasselbe gilt.

Mit anderen Worten: Wenn die Schweiz erreichen könnte, dass für Schweizer Firmen Schweizer Standards gelten, wär für die Umwelt viel gewonnen, andererseits wären diese Firmen in diesen Märkten nicht wettbewerbsfähig. Jedenfalls braucht man auch nicht die Biedermann-Perspektive einnehmen, die das Übel nur aus dem Ausland wittert.

Zweitens würde die Annahme dieser Verfassungsbestimmung natürlich dazu führen, dass die Schweiz Konflikte mit Handelspartnern bekommt. Für die Schweiz bestimmte EU-Mastschweine müssten also 0.15 m2 Stallfläche mehr bekommen als ihre für die Schlachtung daheim bestimmten Leidensgenossen. Eine absurde Vorstellung.

Wenn die Schweiz will, dass die Tierschutz- und Herstellungsbedingungen der sie umgebenden Länder ihren Standards angeglichen werden, gibt es meiner Meinung nach nur einen Weg: Sie muss Einfluss nehmen. Durch Teilnahme an entsprechenden europaweiten Entscheidungsgremien. Solange sie das nicht will, muss sie nehmen, was auf den Tisch kommt.

Ernährungssouveränität

Diese Initiative ist ein Bündel von Einzelforderungen; mit einigen davon bin ich zu 100% einverstanden.

  • Wie die Initianten halte ich Subventionen für die Ausfuhr von landwirtschaftlichen Erzeugnissen für ein Unding;
  • Der wirtschaftlichen Nutzung gentechnisch manipulierter Organismen stehe ich extrem skeptisch gegenüber (was die Forschung allerdings nicht unmöglich machen sollte);
  • Falls mit der Forderung nach “Informationen über die Bedingungen für die Produktion und die Verarbeitung von einheimischen und eingeführten Lebensmitteln” eine Verstärkung von Deklarationspflichen gemeint ist, bin ich ganz dabei.

Als Gesamtpaket allerdings kann ich diese Initiative nur ablehnen. Die Erhöhung der Zahl der in der Landwirtschaft tätigen Personen als Staatsaufgabe – wie in der Initiative gefordert – ist völlig irre. Technische Innovation hat landwirtschaftliche Produktion in den letzten hundert Jahren massiv verändert und wird das weiterhin tun. Viel davon bestand in der Ersetzung schwerer körperlicher Arbeit durch Maschinen, anderes in der Ermöglichung gänzlich neuer Verfahren durch Automation. Wer sich weitergehend für dieses Thema interessiert, dem sei das Buch Arbeitsfrei von Constanze Kurz und Frank Rieger empfohlen, das sehr plastisch entlang der Wertschöpfungskette von Brot beschreibt, was sich da getan hat und weiter tut. Eine Erhöhung und selbst das Einfrieren der Zahl der Arbeitsplätze kann nur zu einer musealen Landwirtschaft führen, die allenfalls in Ballenberg einen Ort findet.

Ach die Welt ist nicht gerechtMindestens ebenso sinnlos-dirigistisch ist die Forderung nach “gerechten Preisen”. Wann sind denn Preise gerecht? Wenn der Landwirt genausoviel verdient wie sein Kollege im Senegal? Wenn das Obst das Preisniveau von Aldi in Konstanz erreicht? Und wie soll der Bund – wie gefordert – darauf hinwirken, dass gerechte Preise festgelegt werden? Und dass die Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft schweizweit einheitlich sind? Anders als durch marktfernen Dirigismus ist das nicht zu erreichen.Wohlgemerkt: Es wäre naiv zu glauben, in der Landwirtschaft gälten unverfälscht die Gesetze des Marktes. In allen Ländern sind Preise für landwirtschaftliche Produkte stark von Politik beeinflusst. Leider. Daraus würde diese Initiative aber die vollkommene Abkehr vom Markt machen. Zum Nachteil der Verbraucher (jedenfalls derer, die nicht über die Grenze zum Einkaufen fahren).

Entscheidungen im Kanton Zürich

Film- und Medienförderungsgesetz

Man kann hier verschiedener Meinung sein. Ich glaube aber, dass ein Spielfilm nicht nur viel Geld kostet, sondern auch eine mehrjährige Projektlaufzeit hat. Deshalb glaube ich, das das Finanzierungsmodell – jährliche Ausschüttung aus dem Spielbanktopf – für Filmproduktion ungeeignet ist. Filmemacher brauchen mehr Planungssicherheit und einen längeren Zeithorizont. Deshalb unterstütze ich diese Initiative.

Wildhüter statt Jäger

Jäger sind ja schreckliche Menschen: Sie lauern den zarten Rehlein auf und ballern sie aus lauter Mordlust ab. Dabei killen sie gelegentlich auch Haustiere, die ganz friedlich im Wald herumstreunen und höchstens ein paar Vögel meucheln.

Weil Jäger so schlimme Gesellen sind, soll das Waidwerk in die Hände bezahlter Wildhüter gelegt werden, was einerseits 10 Millionen (oder 20 oder 30 Millionen) kostet, andererseits – in dem selben Text – gar nicht notwendig ist, weil sich der Wildbestand selbst regelt, sofern “alle erdenklichen Schutzmassnahmen” von seiten der Landbesitzer getroffen werden.

Diese Initiative plädiert dafür, zig Millionen auszugeben, nur um einem Ressentiment zu folgen (gegen die Jäger), halst die entstehenden Probleme den Landwirten auf, und argumentiert mit nicht haltbaren Behauptungen zur Selbstregulierung des Wildbestands in einer total vom Menschen dominierten Kulturlandschaft. Wahr ist: Der Wildbestand liesse sich auch im Kanton Zürich wirkungsvoll auf natürlichem Wege regulieren – durch die Ansiedlung einer genügenden Anzahl von Wölfen.

Mal sehen, was dann los ist.

Stoppt die Limmattalbahn

Das ist eine völlig unsinnige Initiative einiger Betroffener, die sich nicht damit abfinden möchten, dass die grosse Mehrheit des Kantons den Bau dieser Bahn entschieden hat.

Man kann der Tatsache nachtrauern, dass der Raum entlang der Limmat einer Verstädterung unterworfen ist. Man kann diese Verstädterung aber nicht verhindern, indem man Infrastrukturmassnahmen unterlässt. Im Gegenteil: Weil diese Verstädterung kommen wird, ist es wichtig, frühzeitig eben solche Massnahmen zu ergreifen – später werden sie unerschwinglich teuer. Die Alternative zur Limmattalbahn ist also nicht die ländliche Ruhe und Beschaulichkeit, sondern der Individualverkehr, in dem dieselben Betroffenen, die heute die Bahn verhindern wollen, in wenigen Jahren ersaufen würden.

Entscheidungen in der Stadt Zürich

7 statt 9

Ich war 20 Jahre in einem sehr erfolgreichen multinationalen Unternehmen angestellt und wurde in dieser Zeit ungefähr 25 Mal “reorganisiert”. Jedesmal, wenn auf einer Management-Ebene ein Neuer (oder eine Neue) kam, wurden die Leute darunter reorganisiert. Einige dieser Reorganisationen brachten Verbesserungen, die meisten nicht, aber alle hatten eins gemeinsam: Bis die Organisation sich wieder berappelt hatte, jeder wusste, was er zu tun hatte, vergingen Monate, wenn nicht Jahre mit Selbstbeschäftigung und Ineffizienz. (Die Firma war erfolgreich nicht wegen, sondern trotz der Reorganisationswut.)

Ob nun 9 oder – wie gefordert – 7 Nasen im Stadtrat sitzen, spart ja erst mal nicht viel Geld. Eine Reorganisation der Departemente aber, die ja das Ziel der vorliegenden Initiative ist, halte ich für eine Operation, die man nur gezielt, in möglichst kleiner Dosis, unternehmen sollte und wenn es dringenden Handlungsbedarf gibt. Den sehe ich nicht. Selbst wenn am Schluss eine Organisation herauskommt, die ein bisschen effizienter ist, muss diese Einsparung gegen die Projektkosten und die mit der Reorganisation einhergehenden Ineffizienz gegengerechnet werden, und nach meiner Erfahrung kommt meist ein Minus dabei heraus.

Ob nun 7 oder 9 Stadtratsdepartements besser sind, sei dahingestellt. (Und wenn 7 statt 9 so deutlich “mehr Geld für Zürich” ausmachen, warum nicht noch “mehr Geld für Zürich” und auf 5 gehen, oder 3?)
Ich gebe zu, ich bin in dieser Frage leidgeprüft und befangen, und erinnere mich an das unausgesprochene Managermotto:
Wenn was wirklich gut läuft, sollten wir es reorganisieren.
Igitt.

Fernwärmeversorgung

Diese letzte Frage ist ziemlich einfach zu beantworten: Klar doch. Eine Infrastrukturmassnahme für die Zukunft.
Ob man hier vielleicht noch einen besseren Deal hätte haben können, würde ich dann ernsthaft als Hinderungsgrund in Betracht ziehen, wenn das Argument nicht von einer Partei käme, die epileptische Anfälle bei allem bekommt, was auch nur entfernt nach Nachhaltigkeit und Recycling riecht.

Eben mal schnell die Schweiz abschaffen

31 Wednesday Jan 2018

Posted by hajovonkracht in deutsch

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Abstimmungen, Finanzordnung 2021, no Billag

In aller Munde ist die “no-Billag” Initiative; auch bei uns zuhause wurde sie kontrovers diskutiert. Dazu gleich mehr.

nexistepasZunächst aber möchte ich auf die verblüffende Möglichkeit hinweisen, durch ein «Nein» zu der unschuldig daherkommenden “Neuen Finanzordnung 2021” (siehe Video) eben mal schnell die komplette Schweiz abzuschaffen.

Aus einem dunklen, der Geschichte entstammenden Grunde muss der Bund immer mal wieder das Wahlvolk fragen, ob es ihn weiterhin geben soll. Beziehungsweise, ob er weiter direkte Bundessteuer und Mehrwertsteuer erheben darf – was ziemlich auf dasselbe hinausläuft. So ein Termin ist jetzt wieder, und dies gibt uns – dem Wahlvolk – die Gelegenheit, das komplette Staatsgefüge in die Luft zu jagen. Einfach mal so.

Im Vorfeld gab es im Parlament ein Geplänkel, ob man, statt diese Frage alle paar dutzend Jahre neu zu stellen, das Recht des Bundes auf Steuererhebung in ein permanentes Recht umwandeln sollte, oder ob an der Frist (15 Jahre) geschraubt werden soll, aber dann liess man alles beim Alten. Wie nicht anders zu erwarten, haben sowohl der Nationalrat als auch der Ständerat einstimmig (“zu Null”) die Annahme der Vorlage empfohlen. (Bei «Nein» müssten sie alle nach Hause gehen.)

Tatsächlich gibt es eine kleine Unterstützergruppe Finanzordnung Nein, die behauptet, der Entzug aller Einnahmequellen wäre “für den unkontrolliert wuchernden Bund und dessen Verwaltungsapparate eine mehr als nötige, gesunde Schrumpfkur.” – Was für ein Blödsinn.

Aber die Logik kommt mir bekannt vor. “Die SRG darf auch nach der Abschaffung der Billag-Gebühren Sendungen produzieren und ausstrahlen, sie müsste sich lediglich selbst finanzieren, wie die meisten anderen Unternehmen auch.” – so die No-Billag (siehe Video) Befürworter auf ihrer Web Seite, auf der sie vehement bestreiten, dass ihre Initiative eigentlich «No-SRG»-Initiative genannt werden müsse.

Natürlich kann die sich SRG, wenn man ihr 75% ihrer Einnahmen kappt, vielleicht irgendwie selbst neu erfinden. Aber wahrscheinlich ist das nicht.

Bei den Leuten in meinem Umfeld, mit denen ich diese Initiative diskutiert habe, ist nicht ganz klar, worüber abgestimmt wird. Es geht tatsächlich (und da haben die Befürworter recht) nicht um Pro oder Contra SRG und ihre Leistung. Es geht um viel Grundsätzlicheres. Im Abstimmungstext steht:

  • Art. 93/4 “[Der Bund] subventioniert keine Radio- und Fernsehstationen.”
  • Art. 197/12 “Mit Inkrafttreten der gesetzlichen Bestimmungen werden die Konzessionen mit Gebührenanteil entschädigungslos aufgehoben.”

Es geht also um die Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks überhaupt. Und das will gut überlegt sein.

Dabei waren wir in unserem Haushalt und auch in unserem Freundeskreis durchaus nicht von Anfang Feuer und Flamme für die regelmässig eintrudelnden Billag-Rechnungen. Und wenn die Abstimmung wirklich eine “no-Billag” Entscheidung wäre (nämlich um die Frage, wie die Rundfunk/Fernseh-Gebühren erhoben werden), dann fielen mir gute Gründe ein, den jetzigen Zustand für lamentabel zu halten.

  • Wieso wird das nicht über die Steuern eingezogen? Das würde einerseits den Aufwand verringern, andererseits – wenn schon Service Public, wieso ist das dann nicht einkommensabhängig?
  • Auch die extra-Rechnung an die Unternehmen ist eigentlich widersinnig: Sehen und hören tun doch nur Menschen, keine Unternehmen. Und wenn ich schon meine Gebühr bezahlt habe, sollte es doch gleichgültig sein, ob ich mich mit dem Almdudler in meinem Büro, im Wohnzimmer, in meinem Auto oder meinem Rustico berieseln lasse. Per Radio, Walkman, Fernseher oder Smartphone.

Das Hauptargument gegen das Schweizer öffentlich-rechtliche Radio und Fernsehen ist aber: Ich schau mir das sowieso nicht an. Die Qualität ist miserabel, die Sendungen unprofessionell und eine Zumutung, ich bezahle sowieso Netflix und schaue RTL.

Und mit dieser Logik wird der Gedanke an Service Public komplett über Bord geschmissen. Ganz nach der Logik: In meinem Alter bin ich sicher, dass ich keine Schule mehr besuchen werde, also sollte man alle Schulen abschaffen. Was liesse sich da Geld sparen.

Auch wenn die digitalen Medien und neue Sehgewohnheiten für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk radikale neue Herausforderungen darstellen, würden wir uns einen Bärendienst erweisen, wenn wir – um den Programmgestaltern der SRG eins reinzuwürgen – diese Institution zerschlagen würden. Also: ein klares «Nein».

Auf kantonaler Ebene gibts in Zürich dann noch eine Initiative “Lehrplan vors Volk”. Das ist eine der unsinnigen SVP-Zwängereien, mit denen man sich so wenig wie möglich befassen sollte. Der einzige Zweck der Initiative ist, den Stand der Lehrer, Erzieher und Gutmenschen zu quälen. Alle Lehrpläne zum Gegenstand eines Referendums zu machen, ist so ziemlich die dämlichste Idee (vielleicht nach der, die Schweiz zum 4. März komplett abzuschaffen, siehe oben). Also: «Nein».

PS. In der Stadt Zürich finden am 4. März Erneuerungswahlen zu Gemeinderat, Stadtrat und Stadtpräsidium statt. Eine wichtige Sache. Ich habe da meine Favoriten. In diesem Blog beschränke ich mich allerdings auf die Abstimmungen und möchte daraus keinen Parteiblog machen, was automatisch die Folge wäre, wenn ich mich zu den Wahlen äussern würde.

Nur hier in Zürich

19 Sunday Nov 2017

Posted by hajovonkracht in deutsch

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Abstimmungen, Alterszentrum Mathysweg, ewz, Nachhaltige und faire Ernährung, Schulanlage Hofacker, Sonderschulen

Ganz ungewohnt: Am 26. November stimmen wir ausschliesslich über lokale Stadtzürcher Fragen ab. Fünf Fragen werden gestellt, Kanton und Bund haben Abstimmpause.

Gleich zweimal geht es um Schule, und als jemand, der weder in Zürich die Schule besucht hat, noch ein Kind hat, das dies tut, noch jemanden kennt, der ein Kind hat, das dies tut, fühle ich mich einigermassen inkompetent und gestatte mir nur aus staatsbürgerlicher Pflicht, und weil ich insofern zur Entscheidung aufgefordert bin, eine Meinung dazu.

1. Ausrichtung der Schulbehördenorganisation auf die schulische Integration und weitere Massnahmen zur Verbesserung der Führung im Schulwesen der Stadt Zürich (was ein Titel!)
Es geht darum, die Zuständigkeit für die Betreuung von “Schülerinnen und Schülern mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen” an die reguläre Schulbehörde zu übertragen und die separate Sonderschul-Kommission aufzulösen. Hintergrund ist die seit einigen Jahren angestrebte “Inklusion”, das heisst, dass immer mehr Kinder mit “besonderen pädagogischen Bedürfnissen” in Regelklassen unterrichtet, dort aber eigens gefördert werden. Regelschulen führen sonderpädagogische Aufgaben durch. Die strikte Trennung der Behörden widerspricht dem, Doppelgleisigkeit entsteht.
Jeder ist heutzutage für Inklusion, und so sind (fast) alle Parteien für die Vorlage, mit zwei Ausnahmen: Die AL meint, “die dringende Reform der Schulbehördenorganisation – unter anderem die Klärung der Rolle der Schulpräsident/-innen – ist von den Parteien auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben worden. Die jetzt zur Abstimmung kommende Aufhebung der ‘Schulkommission für die Sonderschulen’ muss im Rahmen einer Gesamtreform erfolgen.” – Das ist ein klassisches Nicht-Argument (genannt ‘Whataboutismus’) – warum nicht ein Problem nach dem anderen angehen?
Interessanter ist die Meinung der SVP: Die Mitglieder der Sonderschul-Kommission (die jetzt aufgelöst werden soll) wurden vom Gemeinderat benannt. “Dem Schul- und Sportdepartement passte dieses Gremium mit Volksvertretern offenbar nicht.” – Findet hier also klammheimlich ein Demokratieabbau statt? Nun muss man wissen, dass die regulären Kreisschulbehörden vom Volk gewählt werden, und es ist schon ein wenig ironisch, dass gerade die SVP, die sonst immer Wert auf direkte Volksentscheidung legt, hier die indirekt gewählte Sonderschul-Kommission verteidigen zu müssen glaubt.
Eher jaMein Fazit: die vorgetragenen Gegenargumente sind so fadenscheinig, dass ich vermute, es gibt keine besseren, und ich stimme – mit zugestanden geringer Sachkenntnis – der Vorlage zu.

2. Elektrizitätswerk der Stadt Zürich, Rahmenkredit von 200 Millionen Franken für den Bau von Anlagen des Geschäftsfelds Energielösungen
Schon bei der letzten Abstimmung ging es darum, dem EWZ einen Rahmenkredit “für den Erwerb von Energieerzeugungsanlagen von erneuerbarer Energie” zu bewilligen. (Ich war ganz dafür, und die Vorlage wurde auch angenommen.) Diesmal gehts um einen weiteren Kredit, und um das “Geschäftsfeld Energielösungen”.
Ich muss gestehen, dass mir die Entscheidung hier schwer fällt. Das ewz ist ja ein Zwitter: Einerseits soll es als Unternehmen wirtschaftlich handeln, und die Antragsteller führen auch aus, dass die erbrachten “Energielösungen” kostendeckend betrieben werden und einen ange­messenen Gewinn abwerfen. In diesem Sinn agiert das EWZ als “normales” Unternehmen, tritt auch mit anderen in Konkurrenz, und sollte auch als solches geführt werden. Andererseits hat das EWZ als Dienstleistungsabteilung der Stadt politische Ziele wie die “2000 Watt Gesellschaft”. In diesem Sinn soll es nicht rein betriebswirtschaftlich ticken.
Wenn man im EWZ primär ein Unternehmen sieht, das “Energielösungen” schweizweit auf dem Markt anbietet, wäre – wie vom Stadtrat (der Stadtregierung) vorgeschlagen – die Umwandlung in ein öffentlich-rechtliches Unternehmen konsequent gewesen. Dies wurde aber vom Gemeinderat (dem Stadtparlament) abgelehnt, weil man mehr Einfluss auf die Geschäftsgestaltung nehmen wollte. Für mich folgt daraus, dass das EWZ kein “normales Unternehmen”, sondern vornehmlich für die Umsetzung der Energiepolitik der Stadt zuständig ist.
Gleichzeitig, wenn man dem EWZ den Auftrag gibt, Energiedienstleistungen zu erbringen, auf dem Gebiet der Stadt Zürich und der übrigen Schweiz – wie das offenbar erfolgt ist – dann muss man ihm auch den wirtschaftlichen Rahmen geben, dies erfolgreich zu machen.
Also wie man’s macht, macht man’s falsch, und deshalb bin ich gezwungen, hier ein “unentscheidbar” einzulegen.

ja!3. Das Alterszentrum Mathysweg im Quartier Albisrieden soll einen Ersatzneubau bekommen und braucht einen Objektkredit von 63,25 Millionen Franken.
Das scheint ganz unbestritten, und es findet sich niemand, der dagegen sprechen würde, nicht einmal ich.

4. Die Schulanlage Hofacker im Quartier Hirslanden soll ein neues Sekundarschulhaus mit Dreifachsporthalle bekommen und braucht einen Objektkredit von 33,8 Millionen Franken.

ja!Auch das wäre eigentlich unbestritten, wenn nicht die SVP diesen Umbau zum Gegenstand ihres grundsätzlichen Kulturkampfs machen würde. Sie hat was gegen Ganztagsbetreuung der Kinder (der wichtigste Grund für den Umbau). Denn sie hofft, “früher oder später werden die Familien nämlich wieder zur Besinnung kommen, sodass etliche Familien ihre Mittagszeit wieder mit den Kindern verbringen.” – Also: Frauen, raus aus dem Beruf, und zurück zu Küche und Herd!
Schon drollig.

5. Gegenvorschlag des Gemeinderats zur Volksinitiative «Nachhaltige und faire Ernährung»
Diese “Gegenvorschläge” sind ja immer ein Spiel über die Bande: Da hat jemand eine Volksinitiative eingereicht, die andere für blöd halten (in diesem Fall eine obskure Gruppe mit dem Namen Sentience Politics, die “Antispeziesismus” vertritt und für vegane Ernährung streitet; auf ihrer Web-Seite präsentiert sie eine eindrucksvolle Liste von Unterstützern, und ich wundere mich.). Weil der Gemeinderat nicht einfach “nein” sagen wollte (wie vom Stadtrat empfohlen), wurde aus der eingereichten Initiative der vorliegende Gegenvorschlag, der Auflagen für die Verpflegung bei Veranstaltungen und in öffentlich-rechtlichen Einrichtungen vorsieht, sowie eine neue Stiftung, die über die Auswirkungen der Massentierhaltung aufklären soll.
nein!Tut mir leid, da kann ich nicht mit. Aufklärung über die Auswirkungen von Massentierhaltung ist verdienstvoll, tut not, ist aber eine zivilgesellschaftliche, keine städtische Aufgabe. Wenn öffentliche Einrichtungen vermehrt vegane Angebote führen, begrüsse ich das im Rahmen dessen, dass die Konsumenten das auch wollen. Verpflegung bei Veranstaltungen zu regeln, halte ich im Zweifel für unangebracht, und wieder sollten da die Konsumenten das letzte Wort haben.
Deshalb kann ich der Vorlage bei aller Sympathie für das Anliegen leider nicht zustimmen.

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