Schlagwörter
Abstimmungen, Ernährungssouveränität, fair food, Filmförderung, Limmattalbahn, Velowege, Wildhüter
Es ist wieder soweit. Die Abstimm-Unterlagen sind vor Tagen eingetroffen. Wie drei von vier Schweizern werde ich per Briefwahl abstimmen. Dann für ein paar Tage ab in die Westschweiz, Rest-Sommer geniessen. Die meisten Fragen sind nicht schwer zu beantworten, aber bei einer blutet mir das Herz.
Entscheidungen auf Bundesebene
Velowege
Bereits am 1. März 2016 überreichte eine Gruppe um Pro Velo Schweiz der Bundeskanzlei 105’234 Unterschriften für eine Initiative, die nur aus drei Sätzen bestand:
„Der Bund legt Grundsätze über Fuss- und Wanderwegnetze und über Netze für den Alltags- und Freizeit-Veloverkehr fest. Er fördert und koordiniert Massnahmen der Kantone und Dritter zur Anlage und Erhaltung attraktiver und sicherer Netze und zur Kommunikation über diese; dabei wahrt er die Zuständigkeiten der Kantone. Er nimmt bei der Erfüllung seiner Aufgaben Rücksicht auf solche Netze. Muss er dazugehörende Wege aufheben, so ersetzt er sie.“
Dieser Text war dem Bundesrat viel zu radikal, und am 17. August 2016 setzte er folgenden Gegenentwurf dagegen:
„Der Bund legt Grundsätze über Fuss- und Wanderwegnetze sowie über Netze für den Alltags- und Freizeitveloverkehr fest. Er kann Massnahmen der Kantone und Dritter zur Anlage und Erhaltung attraktiver und sicherer Netze sowie zur Information über diese unterstützen und koordinieren. Er nimmt bei der Erfüllung seiner Aufgaben Rücksicht auf solche Netze. Muss er dazugehörende Wege aufheben, so ersetzt er sie.“
Wer sieht den Unterschied? Die Initianten jedenfalls kaum, und so zogen sie ihre Initiative zurück, und deshalb stimmen wir ausschliesslich über den Gegenentwurf ab. Der Bund kann Massnahmen koordinieren. Er kann’s aber auch bleiben lassen.
Wer kann da schon dagegen sein? Ich sicher nicht, wenn ich auch glaube, dass die Initiative die eigentlichen Probleme kaum lösen wird. Die Initiative zielt vor allem darauf ab, ein dem Wanderweg-Netz entsprechendes schweizweites Netz von Velowegen zu fördern. Woran es aber wirklich hapert, das sind die kurzen Velowege in der Stadt. Nichts gegen Velotouren über Land. Aber die Unterstützung von Menschen, die mit dem Velo zur Arbeit fahren wollen – die ist in der Schweiz ziemlich schlecht. Velo fahren in Zürich ist echt gefährlich. Das kann nur lokal behoben werden. Deshalb: Ja zur Initiative und nächstes Thema.
Fair Food Initiative
Die Entscheidung dieser Frage fällt mir wirklich schwer, und deshalb kommt dieser Blog auch später als geplant. Ich habe lange mit mir gerungen.
Ja, auch ich bin „für gesunde sowie umweltfreundlich und fair hergestellte Lebensmittel“. Aber der Knackpunkt der Initiative liegt woanders.
Der Abstimmungstext besteht aus fünf Einzelbestimmungen.
- Der Bund stärkt das Angebot an Lebensmitteln, die von guter Qualität usw. sind. (Punkt 4 führt dann die Instrumente an, mit denen er das bewirken kann) – Ich befürworte eine solche Zielsetzung, bin aber unschlüssig, ob sie allein eine solche Initiative trägt.
- – und das ist der Knackpunkt an der Sache – Der Bund stellt sicher, dass eingeführte landwirtschaftliche Erzeugnisse, die als Lebensmittel verwendet werden, grundsätzlich mindestens den Anforderungen nach 1. genügen. Dazu gleich mehr.
- Der Bund sorgt dafür, dass die negativen Auswirkungen des Transports und der Lagerung auf Umwelt und Klima reduziert werden. Geschenkt
- Dieser Passus legt wie gesagt die Instrumente fest, wie Zulassung, Zölle, usw.
- Der Bundesrat soll regelmässig über den Erfolg dieser Massnahmen berichten und ggf. Massnahmen ergreifen. Meinetwegen.
Die ganze Auseinandersetzung dreht sich um Punkt 2, der auch als einziger („stellt sicher“, „grundsätzlich mindestens“) wenig Umsetzungsspielraum lässt. Mit diesem Punkt habe ich erhebliche Probleme, abgesehen davon, dass ich Anhänger der These bin, dass sich jeder zugrunde richten darf, wie er oder sie will, gesund oder ungesund (die Meinungen diesbezüglich ändern sich ja auch ab und zu).
Erstens tut der Antrag so, als sei die in jeder Hinsicht vorbildliche Schweiz umlagert von Ländern mit schlechteren Standards, vor denen sie sich schützen muss. Zugegeben, einige Vorschriften in der Schweiz sind strenger als in der EU (Zum Beispiel Stallfläche pro Schwein: CH: 0.9 m2, EU: 0.75 m2). Das ist aber nur eine Seite der Medallie. Der grösste Lebensmittelhersteller der Welt beispielsweise, Nestlé, dessen 2000 Marken (Liste hier) quer über den Globus hergestellt und vertrieben werden, hält sich mitnichten überall an Schweizer Standards. Wär auch schön blöd. Und da die Wertschöpfungskette eines solchen Konzerns munter Grenzen überschreitet, dürften auch solche Produkte nicht in die Schweiz (re-)importiert werden?
Nummer zwei in der Schweiz ist Aryzta (sie stellen u.a. die pappigen McDonalds Burger Buns her). Selbe Situation: Produktion weltweit, Schweizer Firma: ja, Schweizer Fair Food Standards: ha ha.
Dann kommt schon Emmi (das klingt schon mal Schweizerisch) mit Produktion in Italien (Trentinalatte), Deutschland (Onken), USA (Cowgirl Creamery), für die dasselbe gilt.
Mit anderen Worten: Wenn die Schweiz erreichen könnte, dass für Schweizer Firmen Schweizer Standards gelten, wär für die Umwelt viel gewonnen, andererseits wären diese Firmen in diesen Märkten nicht wettbewerbsfähig. Jedenfalls braucht man auch nicht die Biedermann-Perspektive einnehmen, die das Übel nur aus dem Ausland wittert.
Zweitens würde die Annahme dieser Verfassungsbestimmung natürlich dazu führen, dass die Schweiz Konflikte mit Handelspartnern bekommt. Für die Schweiz bestimmte EU-Mastschweine müssten also 0.15 m2 Stallfläche mehr bekommen als ihre für die Schlachtung daheim bestimmten Leidensgenossen. Eine absurde Vorstellung.
Wenn die Schweiz will, dass die Tierschutz- und Herstellungsbedingungen der sie umgebenden Länder ihren Standards angeglichen werden, gibt es meiner Meinung nach nur einen Weg: Sie muss Einfluss nehmen. Durch Teilnahme an entsprechenden europaweiten Entscheidungsgremien. Solange sie das nicht will, muss sie nehmen, was auf den Tisch kommt.
Ernährungssouveränität
Diese Initiative ist ein Bündel von Einzelforderungen; mit einigen davon bin ich zu 100% einverstanden.
- Wie die Initianten halte ich Subventionen für die Ausfuhr von landwirtschaftlichen Erzeugnissen für ein Unding;
- Der wirtschaftlichen Nutzung gentechnisch manipulierter Organismen stehe ich extrem skeptisch gegenüber (was die Forschung allerdings nicht unmöglich machen sollte);
- Falls mit der Forderung nach „Informationen über die Bedingungen für die Produktion und die Verarbeitung von einheimischen und eingeführten Lebensmitteln“ eine Verstärkung von Deklarationspflichen gemeint ist, bin ich ganz dabei.
Als Gesamtpaket allerdings kann ich diese Initiative nur ablehnen. Die Erhöhung der Zahl der in der Landwirtschaft tätigen Personen als Staatsaufgabe – wie in der Initiative gefordert – ist völlig irre. Technische Innovation hat landwirtschaftliche Produktion in den letzten hundert Jahren massiv verändert und wird das weiterhin tun. Viel davon bestand in der Ersetzung schwerer körperlicher Arbeit durch Maschinen, anderes in der Ermöglichung gänzlich neuer Verfahren durch Automation. Wer sich weitergehend für dieses Thema interessiert, dem sei das Buch Arbeitsfrei von Constanze Kurz und Frank Rieger empfohlen, das sehr plastisch entlang der Wertschöpfungskette von Brot beschreibt, was sich da getan hat und weiter tut. Eine Erhöhung und selbst das Einfrieren der Zahl der Arbeitsplätze kann nur zu einer musealen Landwirtschaft führen, die allenfalls in Ballenberg einen Ort findet.
Mindestens ebenso sinnlos-dirigistisch ist die Forderung nach „gerechten Preisen“. Wann sind denn Preise gerecht? Wenn der Landwirt genausoviel verdient wie sein Kollege im Senegal? Wenn das Obst das Preisniveau von Aldi in Konstanz erreicht? Und wie soll der Bund – wie gefordert – darauf hinwirken, dass gerechte Preise festgelegt werden? Und dass die Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft schweizweit einheitlich sind? Anders als durch marktfernen Dirigismus ist das nicht zu erreichen.Wohlgemerkt: Es wäre naiv zu glauben, in der Landwirtschaft gälten unverfälscht die Gesetze des Marktes. In allen Ländern sind Preise für landwirtschaftliche Produkte stark von Politik beeinflusst. Leider. Daraus würde diese Initiative aber die vollkommene Abkehr vom Markt machen. Zum Nachteil der Verbraucher (jedenfalls derer, die nicht über die Grenze zum Einkaufen fahren).
Entscheidungen im Kanton Zürich
Film- und Medienförderungsgesetz
Man kann hier verschiedener Meinung sein. Ich glaube aber, dass ein Spielfilm nicht nur viel Geld kostet, sondern auch eine mehrjährige Projektlaufzeit hat. Deshalb glaube ich, das das Finanzierungsmodell – jährliche Ausschüttung aus dem Spielbanktopf – für Filmproduktion ungeeignet ist. Filmemacher brauchen mehr Planungssicherheit und einen längeren Zeithorizont. Deshalb unterstütze ich diese Initiative.
Wildhüter statt Jäger
Jäger sind ja schreckliche Menschen: Sie lauern den zarten Rehlein auf und ballern sie aus lauter Mordlust ab. Dabei killen sie gelegentlich auch Haustiere, die ganz friedlich im Wald herumstreunen und höchstens ein paar Vögel meucheln.
Weil Jäger so schlimme Gesellen sind, soll das Waidwerk in die Hände bezahlter Wildhüter gelegt werden, was einerseits 10 Millionen (oder 20 oder 30 Millionen) kostet, andererseits – in dem selben Text – gar nicht notwendig ist, weil sich der Wildbestand selbst regelt, sofern „alle erdenklichen Schutzmassnahmen“ von seiten der Landbesitzer getroffen werden.
Diese Initiative plädiert dafür, zig Millionen auszugeben, nur um einem Ressentiment zu folgen (gegen die Jäger), halst die entstehenden Probleme den Landwirten auf, und argumentiert mit nicht haltbaren Behauptungen zur Selbstregulierung des Wildbestands in einer total vom Menschen dominierten Kulturlandschaft. Wahr ist: Der Wildbestand liesse sich auch im Kanton Zürich wirkungsvoll auf natürlichem Wege regulieren – durch die Ansiedlung einer genügenden Anzahl von Wölfen.
Mal sehen, was dann los ist.
Stoppt die Limmattalbahn
Das ist eine völlig unsinnige Initiative einiger Betroffener, die sich nicht damit abfinden möchten, dass die grosse Mehrheit des Kantons den Bau dieser Bahn entschieden hat.
Man kann der Tatsache nachtrauern, dass der Raum entlang der Limmat einer Verstädterung unterworfen ist. Man kann diese Verstädterung aber nicht verhindern, indem man Infrastrukturmassnahmen unterlässt. Im Gegenteil: Weil diese Verstädterung kommen wird, ist es wichtig, frühzeitig eben solche Massnahmen zu ergreifen – später werden sie unerschwinglich teuer. Die Alternative zur Limmattalbahn ist also nicht die ländliche Ruhe und Beschaulichkeit, sondern der Individualverkehr, in dem dieselben Betroffenen, die heute die Bahn verhindern wollen, in wenigen Jahren ersaufen würden.
Entscheidungen in der Stadt Zürich
7 statt 9
Ich war 20 Jahre in einem sehr erfolgreichen multinationalen Unternehmen angestellt und wurde in dieser Zeit ungefähr 25 Mal „reorganisiert“. Jedesmal, wenn auf einer Management-Ebene ein Neuer (oder eine Neue) kam, wurden die Leute darunter reorganisiert. Einige dieser Reorganisationen brachten Verbesserungen, die meisten nicht, aber alle hatten eins gemeinsam: Bis die Organisation sich wieder berappelt hatte, jeder wusste, was er zu tun hatte, vergingen Monate, wenn nicht Jahre mit Selbstbeschäftigung und Ineffizienz. (Die Firma war erfolgreich nicht wegen, sondern trotz der Reorganisationswut.)
Ob nun 9 oder – wie gefordert – 7 Nasen im Stadtrat sitzen, spart ja erst mal nicht viel Geld. Eine Reorganisation der Departemente aber, die ja das Ziel der vorliegenden Initiative ist, halte ich für eine Operation, die man nur gezielt, in möglichst kleiner Dosis, unternehmen sollte und wenn es dringenden Handlungsbedarf gibt. Den sehe ich nicht. Selbst wenn am Schluss eine Organisation herauskommt, die ein bisschen effizienter ist, muss diese Einsparung gegen die Projektkosten und die mit der Reorganisation einhergehenden Ineffizienz gegengerechnet werden, und nach meiner Erfahrung kommt meist ein Minus dabei heraus.
Ob nun 7 oder 9 Stadtratsdepartements besser sind, sei dahingestellt. (Und wenn 7 statt 9 so deutlich „mehr Geld für Zürich“ ausmachen, warum nicht noch „mehr Geld für Zürich“ und auf 5 gehen, oder 3?)
Ich gebe zu, ich bin in dieser Frage leidgeprüft und befangen, und erinnere mich an das unausgesprochene Managermotto:
Wenn was wirklich gut läuft, sollten wir es reorganisieren.
Igitt.
Fernwärmeversorgung
Diese letzte Frage ist ziemlich einfach zu beantworten: Klar doch. Eine Infrastrukturmassnahme für die Zukunft.
Ob man hier vielleicht noch einen besseren Deal hätte haben können, würde ich dann ernsthaft als Hinderungsgrund in Betracht ziehen, wenn das Argument nicht von einer Partei käme, die epileptische Anfälle bei allem bekommt, was auch nur entfernt nach Nachhaltigkeit und Recycling riecht.