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Begrenzungsinitiative, Hardturmareal, Jagdgesetz, Kampfflugzeuge, Kinderdrittbetreuungskosten, Sichere Velorouten, Strassengesetz, Vaterschaftsurlaub, Zusatzleistungsgesetz
Am 25. September herrscht in der Schweiz ein coronabedinger Abstimmungs-Stau: gleich 13 Fragen gilt es als Stadtzürcher zu beantworten: 5 für die Schweiz, 2 für den Kanton, und 6 für die Stadt.
Ebenfalls bedingt durch Corona, aber auch unter dem Eindruck apokalyptischer Visionen – dem brennenden Himmel über San Francisco, dem womöglichen Ende der Demokratie in den USA, dem Elend von Moria – musste ich alle Energie zusammen nehmen, den Schreibstau überwinden und meine unmassgebliche Meinung zu den mehr oder weniger banalen anstehenden Entscheidungen aufschreiben. Weshalb es auch mal wieder ziemlich spät geworden ist.
Dabei sind für mich die Antworten auf einige der vorgelegten Fragen “klar wie Kloßbrühe” und ich will mich nicht mit ihnen aufhalten; bei anderen tue ich mich schwerer. Aber Schritt für Schritt.
Schweiz:
Begrenzungsinitiative – im Original originellerweise “Volksinitiative «Für eine massvolle Zuwanderung»” genannt. Im Grunde ist das die soundsovielte Neuauflage immer des selben Anliegens der SVP, die Zuwanderung ohne Dreinreden durch die EU begrenzen zu können. Und so wie die EU in den Flüchtlingen an ihren “Aussengrenzen” den Gottseibeiuns sieht, so der rechtspopulistische Teil der Schweiz – ähnlich UK – in den EU-Ausländern.
Die Annahme der Initiative hätte massive negative Auswirkungen auf die Aussenbeziehungen der Schweiz, weshalb ausser der SVP alle klar dagegen sind. So wichtig ich es finde, diese Initiative abzulehnen (und sogar das erste Mal ein Banner ins Fenster gehängt habe), so sehr scheint es, dass die Meinungen zu dieser Entscheidung “gemacht” sind, weshalb ich mir hier weitere Argumente erspare. Ich bin einigermassen zuversichtlich, dass das mal wieder abgelehnt wird, aber sicher kann man bei so was nie sein. Deshalb in jedem Fall: Nein.
Jagdgesetz
Mal wieder geistern Wölfe durch die Schweiz. Es werden mehr. Deshalb muss man ihnen gesetzlich verbieten, Schafe zu reissen oder sonstwie Unheil anzurichten. Bei Todesstrafe. Und bei der Gelegenheit noch ein paar weitere Arten der “Regulierung” durch die Kantone anheim stellen.
Dazu fällt mir nur ein: Die Artenvielfalt auf der Erde verringert sich in einem katastrophalen Tempo. (wwf-studie)
Nein, es sind nicht in erster Linie die Jäger; sie sind das falsche Feindbild. Es ist unsere industrielle Lebensweise, verschärft durch die Massentierhaltung. Es gibt definitiv nicht zu viele wild lebende Tiere sondern täglich weniger. Ich kann deshalb der vorgeschlagenen Gesetzesänderung nicht zustimmen.
Die nächsten beiden Abstimmungen kreisen um das selbe Thema: Kinderbetreuung und Väter.
Kinderdrittbetreuungskosten
Vorgeschlagen wird, den Kinderfreibetrag bei der Bundessteuer von 6500 auf 10000 Franken zu erhöhen, und Drittbetreuung bei Kindern bis 25000 Franken (bisher 10100) abzugsfähig zu machen. Dabei wird angenommen, bei dieser Drittbetreuung handele es sich um Kitas.
Nun ist es so, dass 60% der Menschen in der Schweiz Bundessteuer zahlen; 40% – die Wenigverdienenden – haben also von der Änderung nichts.
Dies vor dem Hintergrund, dass in der Schweiz Kitas massiv teurer sind als in den Ländern um die Schweiz herum. «In der Schweiz schlagen zwei Betreuungsplätze mit fast 70 Prozent eines Netto-Durchschnittslohnes von 56’000 Franken (Quelle: OECD) zu Buche. Das EU-Mittel liegt bei 27 Prozent, am anderen Ende der Skala befindet sich Österreich mit 5 Prozent.» (tageswoche.ch)
Dahinter steht die Einstellung, die frühe Betreuung sei kein service public sondern Privatsache, anders als Schulen, die selbstverständlich öffentlich finanziert werden. Kinder soll nur haben, wer es sich leisten kann.
Statt den am besten Verdienenden Steuerabzüge zu gewähren, sollte der Staat – Bund und Kantone – Kitas finanzieren. Dann hätten alle was davon. Deshalb zu dieser Vorlage: Nein.
Vaterschaftsurlaub
Mütter sind zuständig für die Kinderbetreuung (und bleiben deshalb zu Hause, es sei denn sie gehören zu den gut Verdienenden, siehe oben), Väter sind zuständig fürs Geldverdienen und sollen sich von den Kleinkindern fernhalten. So war das doch?
Ich habe den Eindruck, viele Schweizer stehen immer noch unter dem Schock, dass die Frauen jetzt Wahlrecht haben. Väter zu Hause? Etwa gar Windeln wechseln?
Wie man sieht, bin ich hier etwas unsachlich, aber ich kann’s nicht helfen. Väter sollen jetzt einen zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub bekommen. Ich finde das einen schlechten Witz. Ich werde mir die Nase zuhalten und dafür stimmen, aber nur, weil mir Vertreter dieser Initiative versichert haben, dass sie darin nur einen Einstieg in eine vernünftige Regelung sehen, bei der Väter wie Mütter ihre Verantwortung als Eltern wahrnehmen können. Nicht zu fassen: Vierzehn Tage!
Neue Kampfflugzeuge
Sechs Milliarden sollen ausgegeben werden für die Anschaffung neuer Kampfflugzeuge als Ersatz für die an ihr Nutzungsende kommenden F/A 18 (Super Hornet) und F5 (Tiger).
Gleich vorweg: Ich bin kein Verfechter der «Schweiz ohne Armee». In meinem Verständnis ist es die Aufgabe einer Nationalregierung, die Bevölkerung vor Gefahren zu schützen. Dazu gehört auch ein möglicherweise dramatisch verändertes aussenpolitisches Umfeld. Dazu gehören auch mögliche militärische Attacken.
Ich verstehe aber nicht, in welchem denkbaren Szenario die jetzt beantragten Kampfjets schützen sollen. Mir scheint, hier stellt sich jemand die Kriege des letzten Jahrhunderts vor. Marschflugkörper, Drohnen, digitale, vor allem aber “hybride Kriegführung”, wie man sie in der Ukraine studieren kann, laufen unter der Einsatzmöglichkeit von Kampfflugzeugen durch.
Mein Eindruck ist, dass die Schweiz auf die Gefahren des 21. Jahrhunderts nur bedingt vorbereitet ist. Hier wären genügend Felder für lohnende Investitionen. Der Einkauf von teurem Spielzeug gibt ein trügerisches Gefühl von Sicherheit. Also: Nein.
Nachbemerkung: Ich bin Mitglied der Grünliberalen, und in dieser Frage eindeutig anderer Meinung als meine Partei. So ist es eben.
Kanton Zürich
Zusatzleistungsgesetz
Mehr und mehr Menschen beziehen Zusatzleistungen zu AHV und IV. Diese Leistungen werden anteilmässig von Bund, Kantonen und Gemeinden getragen. Jetzt soll der Anteil der Gemeinen von 56% auf 30% praktisch halbiert werden; der Anteil des Kantons steigt entsprechend. Für die Empfänger ändert sich nichts. Grund: die ungleiche Verteilung dieser Kosten, die manche Gemeinden viel stärker treffen als andere.
Da die Gemeinden die Höhe dieser Ausgaben kaum beeinflussen können, ist eine solche Veränderung unterm Strich viel einfacher zu gestalten, als ein von den Gegnern vorgeschlagener Ausgleichsmechanismus («Pool») den die Gemeinden erst aufsetzen und dann “gerecht” ausfeilschen müssten – eine wahre bürokratische Herkulesaufgabe. Mehr oder weniger Geld entsteht dadurch nicht, es wird nur anderswo verwaltet, und die Gemeinden werden gleicher belastet. Also ich bin dafür.
Strassengesetz
Alles was mit Strassen und Verkehr zu tun hat, wird im Kanton Zürich nicht etwa dem Budget entnommen, sondern vorher in eine Reihe von Töpfen gestellt, und dann aus diesen abgerufen. Der Grund ist, dass viele Projekte über mehrere Jahre und Budgetperioden hinweg geplant werden müssen. Der Nachteil, dass man den Töpfen schon vorab Gelder zuweisen muss, wenn die Projekte, für dies es gebraucht wird, nur ungefähr bekannt sind. Das führt dazu, dass die Diskussionen ein wenig weltanschaulich geführt werden. Es geht nicht darum, ein bestimmtes Projekt zu beschliessen oder abzulehnen, sondern mehr oder weniger Geld für bestimmte Arten von Projekten vorzuhalten. So hatten wir im Mai 2018 den Versuch der Pro-Auto-Contra-ÖV Lobby, den Verkehrsfonds, aus dem der ÖV finanziert wird, zu schrumpfen; jetzt den der Pro-ÖV-Contra-Auto Lobby, den Strassenfonds auszudünnen, dadurch dass nicht nur kantonale, sondern auch Gemeindestrassen daraus finanziert werden sollen, was ihn naturgemäss schneller leert.
(Hier mein Kommentar zur Verkehrsfonds-Abstimmung vom Mai ’18)
Eigentlich bin ich der Meinung, dass es schon genügend Strassen, aber zu wenig Radwege gibt, deshalb stimme ich dafür und mache gleich mit dem nächsten Thema weiter.
Stadt Zürich
Sichere Velorouten
Radwege in Zürich sind sofort daran erkennbar, dass sie urplötzlich enden, und zwar immer dann, wenn’s eng wird, komplizierte Kreuzungen, unübersichtliche Vorfahrtsverhältnisse herrschen – kurz, wenn es riskant wird. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Velo-Kuriere zu, die schlecht bezahlt, unter Zeitdruck hohes Risiko für sich und andere Verkehrsteilnehmer in Kauf nehmen.
Verglichen mit anderen Städten ist die Situation der Velorouten in Zürich miserabel und gefährlich.
Deshalb kann man diese Initiative nur annehmen. Noch viel wichtiger aber ist, sie von der Stadt auch umzusetzen. Schnell.
Hardturmareal
Dieses Projekt wird jetzt zum zweiten Mal abgestimmt. (Hier meine Stellungnahme vom November 2018)
Meine Einstellung dazu hat sich seitdem nicht geändert, und ich werde das Projekt ablehnen aus drei Gründen:
- Es ist ja zu hoffen, dass bis zur Fertigstellung des Projekts die Corona-Pandemie im Zaume ist, und wir uns stattdessen mit den nächsten Pandemien beschäftigen werden. Was Zürich jedenfalls am allerdringlichsten braucht, sind neue Foren für Super-Spreader-Events. (Zynismus aus; ich glaube aber, da uns Corona & Co. noch lange beschäftigen werden, dass man das Konzept der grossen Sport-Stadien wirklich gründlich überdenken sollte).
- Ich habe nichts gegen Hochhäuser, aber – und das habe ich schon 2018 geschrieben – ich finde den Zürcher Hochhaus-Stil langweilig und öde. Wir bauen heute die Bausünden von morgen. Warum rafft man sich nicht auf, moderne, zeitgemässe und interessante Gebäude (wie z.B. den bosco verticale in Mailand oder den Oxygen Eco Tower in Jakarta) zu errichten. Warum müssen immer öde Quader vor unserer Nase sein?
- Als die Planung aufkam, haben wir uns gefreut und gedacht, wir bekommen eine gute Einkaufsmöglichkeit in Laufentfernung. Nun entnehme ich der Planung, dass aus Rücksicht auf die Nachbarschaft keine Fachmärkte oder Einkaufszentren genehmigt sind, ich also weiter auf die teuren «pronto»-Kleinfilialen der Grossverteiler angewiesen bin, wenn ich nicht mit dem Auto ins Einkaufszentrum fahre.
So, wie es geplant ist, brauche ich das «Ensemble» nicht.
Erwerb von Liegenschaften
Dabei geht es um die Kompetenzzuteilung zwischen Stadtrat (Stadt-Regierung) und Gemeinderat (Parlament). Wer darf entscheiden über Immobilienkäufe, wenn es mehr als 2 Mio kostet? Wenn schnell entschieden werden muss?
Eigentlich ist mir das egal. Demokratisch legitimiert sind beide Institutionen. Dringenden Handlungsbedarf für eine Änderung sehe ich auch nicht. Ich finde, man soll die Bevölkerung mit so einer Frage nicht belästigen. Deshalb diesmal: Keine Stimme.
**Ächz** Wir sind immer noch nicht fertig. Zum Glück sind die verbliebenen drei Entscheidungen reine Formsache:
Das Areal Herdern des Elektrizitätswerks soll instand gesetzt und optimiert werden (nur zu!), eine direkte Wasserleitung soll zwischen dem Limmat-Tal und dem Glatt-Tal durch den Berg gebohrt werden (gute Sache) und die Stiftung Pro Senectute soll mehr Geld bekommen (wohl verdient).
Uff, geschafft. Jetzt schnell den Wahlumschlag der Schweizer Post anheimgegeben, und die Sache ist geritzt.
PS. Kurz nach Veröffentlichung dieses Beitrags erhielt ich ein interessantes Feedback zu den Kampffliegern, das sich hinter dem unscheinbaren Link “1 Comment” oben versteckt.