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Der aussenpolitische “Think Tank” foraus lud zu einem Streitgespräch mit SVP Rechtsausleger Roger Köppel und dem ehemaligen EU-Kommissar und heutigen Präsident des Europäischen Forums Alpbach, dem Österreicher Franz Fischler unter dem Motto “Europe inside out – Zwei Persönlichkeiten, Zwei Perspektiven auf Europa“.

Roger KöppelFranz FischlerKnapp 100 Leute – haupt­sächlich aus dem jugend­lichen akademischen Umfeld der foraus-Gruppe – bildeten das sehr zurückhaltende und höflich-freundliche Publikum im Volkshaus Zürich (keine faulen Eier); ein richtiges Streit­gespräch wurde es (leider) nicht. Zu nett war auch Moderator Nicola Forster, der gehörigen Respekt vor den beiden Diskutanten hatte und nur zaghaft versuchte, etwas Widerspruch zu provozieren.

Im ersten Teil wurde ziemlich unverbindlich über das unterschiedliche Neutralitäts­verständnis der beiden Länder geplaudert: für Fischlers Österreich war Neutralität ein Opfer, das das Land brachte, um die russischen Besatzer loszuwerden, für die Köppel’sche Schweiz eine eher mythisch erhobene Identifikationsfigur. Danach sollte ein “Impulsreferat” die Diskussion in Schwung bringen; ein foraus-Vertreter präsentierte Argumente für eine engere Anbindung der Schweiz an Europa.

Die im Referat vorgetragenen Punkte waren für mich schlüssig. Die Schweizer Wirtschaft ist angewiesen auf enge Anbindung an Europa; ein stattlicher Anteil von 7% aller Schweizerbürger leben und arbeiten im europäischen Ausland und nutzen so die Freizügigkeit; bei der gegebenen Abhängigkeit vom Ausland ist Mitsprache wünschenswert. Das alles spricht eher für EU-Mitgliedschaft und jedenfalls gegen Abschottung.

Auffallend aber war, wie scheu und verhuscht diese Thesen vorgetragen wurden, gerade als ob der Referent etwas unanständiges, etwas verbotenes sagen würde. Wie ein Schüler einer vergangenen Epoche, der es wagt, dem Lehrer zu widersprechen.

Und die Antwort kam prompt. Das wichtigste habe er vergessen, wies Köppel den Referenten zurecht: die Selbstbestimmung. Diese werde bei all den Überlegungen aufgegeben. Die Wahrung der Schweizer Selbstbestimmung sei von entscheidender Wichtigkeit.

Darauf gab es in der weiteren Diskussion keine gute Antwort. Die Diskussion wurde nicht ins Auditorium geöffnet, deshalb konnte ich auch nicht fragen:

Was ist dieses “Selbst“, das Köppel so am Herzen liegt?

Köppel denkt dabei an “die Schweizer” als Träger dieses Selbst. Ausschliesslich. Dabei zeichnet sich gerade die Schweiz durch innere Komplexität, starke Dezentralität und Föderalismus aus. Deshalb gibt es selbstverständlich auch “die Zürcher”. Haben die Einwohner des Kantons Zürich ihre Selbstbestimmung geopfert, als sie der Schweiz beitraten? Oder Höngg – der Stadteil in dem ich lebe. Das Hönggervolk hat seine Selbstbestimmung brutal verloren, als Höngg nach Zürich eingemeindet wurde. Die Verabsolutierung des “Selbst” allein auf die nationalstaatliche Identität kommt mir sonderbar preußisch vor. Ist es nicht so, dass wir heute geschichtete “Selbste” haben, als Höngger, Zürcher, Schweizer, Europäer?

Immerhin, neben einer nationalen Identität haben die Schweizer akzeptiert, dass sie auch ein Selbst als Menschen haben: sie sind 2002 der UNO beigetreten. Das ist nicht ganz so albern wie es klingt, und es entkräftet auch eines der entscheidenden Argumente Köppels gegen den EU-Beitritt: Nach seiner Auffassung ist die Schweiz – als kleines und verwundbares Land – daran interessiert, sich aus fremden Händeln herauszuhalten, und wenn sie EU-Mitglied würde, müsste sie ja auch eine gemeinsame Aussenpolitik, etwa Sanktionen gegen Russland mittragen, und geriete dadurch in Gefahr.

Nun ist es aber so, dass die Schweiz als UNO Mitglied bereits solche Verpflichtungen hat. “Sanktionen sind für die Organisation der Vereinten Nationen (UNO) ein wichtiges Instrument, um Frieden und Sicherheit durchzusetzen. Die Schweiz ist als UNO-Mitglied verpflichtet, die vom Sicherheitsrat beschlossenen Sanktionen zu übernehmen und umzusetzen.” (EDA). Die Nichtteilnahme der Schweiz an den Sanktionen gegen die Apartheit (selbst vor dem UNO Beitritt) gehört jedenfalls zu den dunkelsten Kapiteln Schweizer Aussenpolitik, und hat die Schweiz in keiner Weise davor bewahrt, international angreifbar zu sein.

Die EU hat ungefähr so viele Mitgliedsländer wie die Schweiz Kantone. Ob die Schweiz Mitglied der EU sein will oder nicht, müssen die Schweizer – wie Fischler mehrfach betonte – ganz allein entscheiden. Europäer sind sie allemal. Dass mit einem solchen Beitritt die Seele oder das Selbst oder die Selbstbestimmung der Menschen verloren ginge, ist einfach Unsinn, und dem sollte auch foraus deutlich widersprechen.